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Marie Kreutzer
Wie lieben wir?

Marie Kreutzers Filme (Was hat uns bloß so ruiniert?, Die Vaterlosen) kreisen immer wieder um das Zwischenmenschliche: Es geht um die Familie, um Beziehungen, um Gemeinschaft. Es geht aber auch um Zeitgeistiges – etwa den Drang, immer besser und schöner zu werden, immer bewusster und reflektierter. Ein Gespräch über Leichtigkeit und Schwere in ihren Filmen, die Gratwanderung zwischen Abhängigkeit und Freiheit in Beziehungen und Optimierungsfallen in der Kindererziehung.

In deinen Filmen geht es immer wieder ums Zwischenmenschliche – offensichtlich ein spannendes Thema für viele Menschen. Woher kommt diese Faszination?

Die Familie begleitet uns ein Leben lang, im Positiven wie im Negativen und in allem was dazwischen ist. Für mich persönlich ist es unerschöpflich interessant, von solchen unauflösbaren Beziehungen zu erzählen. Außerdem ist das Soziale an sich so großer Teil des Lebens, gar nicht immer in der Zeit, aber in der Aufmerksamkeit – man redet so viel über andere, fragt sich, wen man in sein Leben lässt und wen man wieder daraus entlässt.

Gehören Freunde für dich zur Familie?

Ja, ich denke schon. Und ich denke auch, dass aus Familie nicht zwangsläufig Verpflichtung entstehen sollte. Nur weil man blutsverwandt ist, darf es keine Ansprüche auf bestimmte Leistungen geben – und so ist es für mich auch in Freundschaften. Weder das eine noch das andere sollte man aus einem Pflichtgefühl heraus aufrechterhalten.

Welche Formen des Zusammenlebens wird es deiner Meinung nach in Zukunft geben?

Ich beobachte in meiner Generation, dass es ein Wiederaufleben von diesem klassischen ‚Mutter, Vater, Kind 1, Kind 2’ gibt, dass es diese Grundsehnsucht nach einem Nest, nach der selbstgewählten Familie, nach dem schönen Kinderzimmer gibt und danach, sich zu jemandem zu bekennen. Das Thema Patchworkfamilie sehe ich dabei eher als Erweiterung denn als Widerspruch. Auch in Wohnanlagen, wo Leute familienübergreifend zusammenleben, genießt man es letztlich, die Tür hinter sich, seinem Partner und seinen Kindern zumachen zu können. So sehr wir uns öffnen, so sehr ist auch dieser Rückzugsort wichtig.

Als Filmemacherin finde ich es extrem spannend, zu beobachten, dass es immer etwas gibt, das man haben, besser machen oder können will.

Du sprichst in deinen Filmen Zeitgeistthemen wie Selbstoptimierung an. Schon Viktor Frankl, der berühmte Wiener Psychiater, hat „Mut zur Unvollkommenheit“ gefordert. Nehmen wir uns zu ernst?

Auf jeden Fall. Das entsteht aus der Sattheit, aus dem Wohlstand heraus. Als Filmemacherin finde ich es extrem spannend, zu beobachten, wie sehr wir uns mit uns selbst beschäftigen und dass es immer etwas gibt, das man haben, besser machen oder können will.Ich hoffe, dass das Älterwerden diesen Optimierungsdrang ein wenig abschleift, dass man entspannter und gnädiger wird.

Du meintest mal, man könne sich den Egoverlust nicht vorstellen, der mit der Elternschaft einhergeht. Spießt sich das nicht mit dem Streben nach Selbstverwirklichung, das so viele von uns antreibt?

Nein, es potenziert sich eher, denn dann gibt es auch noch dieses Kind zu optimieren. Mir hat mein eigener Film (Anm.: Was hat uns bloß so ruiniert, 2016) geholfen, da rauszukommen. Seitdem kann ich mehr darüber lachen. Ich merke mittlerweile, wenn ich in so eine Optimierungsfalle tappe. Wie zum Beispiel die Frage, ob mein Kind, das im September sechs wird, dieses Jahr schon in die erste Klasse soll. Im Grunde ist es egal, aber man denkt trotzdem: Ist es für ihre etwaige Karriere besser? Ich finde es schade, wenn man sich da so einen Druck auferlegt.

Deine Figuren streben einerseits nach Selbstverwirklichung und andererseits nach erfüllenden Beziehungen. Wie lässt sich beides vereinen

Ich habe letztens einen Text von Rilke über die Ehe gelesen. Obwohl er so alt ist, ist er ein moderner Text, den ich 1:1 unterschreiben würde. Er sagt, es ist eine Illusion, dass zwei Leute eins sind und dass man miteinander nur glücklich sein kann, wenn jeder sein eigenes Leben hat. Ich denke allerdings auch, dass man nicht ganz unabhängig sein kann, wenn man wirklich liebt. Für mich ist es wichtig, sich nicht zu sehr aneinander anzupassen und auch seine eigenen Ziele und Wünsche zu verfolgen. Ich kenne in meinem Umfeld wenige Beziehungen, bei denen ich das Gefühl habe, das Paar sei total voneinander abhängig. Im Gegenteil: Ich sehe eher die Gefahr, dass man sich zu sehr voneinander entfernt, weil jeder sich selbst verwirklichen will. Deshalb finde ich es – vor allem, wenn man Kinder hat – wichtig, die Gemeinsamkeit zu zelebrieren.

Ich denke, dass man nicht ganz unabhängig sein kann, wenn man wirklich liebt.

Du behandelst in deinen Filmen auch schwere Themen wie Krankheit und Tod, aber auf eine nicht allzu schwere Art. Dadurch wirken deine Filme gleichzeitig leicht und schwer. Wie gehst du vor, um diese Tonalität zu erzeugen?  

Die Tonalität, die Atmosphäre und das Gefühl, das ein Film vermitteln soll, weiß ich schon ganz zu Beginn, noch bevor die Handlung steht. Bei meinem ersten Film, Die Vaterlosen, der inhaltlich eher schwer und traurig ist, habe ich erst in der letzten Drehbuchphase ein paar humorvollere Dialoge geschrieben. Dass die Leute im Kino dann auch gelacht haben, habe ich sehr genossen – es ist so eine schöne, unmittelbare Reaktion. Leichtigkeit ist mir wichtig, weil sie mit Authentizität zu tun hat, die oft das eigentliche Ziel ist. Also dass man den Film nicht als gespielt oder inszeniert wahrnimmt. Die Schwere, die meine Filme auch haben, ist die Tiefe, die da sein muss, damit ein Film Substanz hat und in Erinnerung bleibt. Ich mache die Filme so, wie ich sie gerne sehen würde – das ist mein Referenzsystem.

Zur Nachlese: Text von Rainer Maria Rilke über die Ehe (1901)

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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