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Günter Hiller
Was ist Zufriedenheit?

Bis 2008 war Günter Hiller als LKW-Fahrer unterwegs, oftmals im Norden Europas. Die Mentalität der Menschen dort hat es ihm angetan. 2018 nimmt er eine dreimonatige Auszeit, fährt privat nach Schweden und begegnet dort einer Familie, deren Geschichte ihn nicht mehr loslässt. Ein Gespräch über Zufriedenheit, Engagement und die Angst, Schwäche zu zeigen.

In deiner Zeit als Fernfahrer hast du Skandinavien zu schätzen gelernt, warst auch danach öfters für kurze Urlaube dort. 2018 hast du dir eine Auszeit genommen, um drei Monate dort zu verbringen. Was hat den Ausschlag für diese Auszeit gegeben?

Ich bin grundsätzlich ein unruhiger Geist, das liegt bei uns irgendwie in der Familie. Ich bin zwar heimatverbunden, aber es zieht mich trotzdem immer wieder weg. Im Frühjahr habe ich gemerkt, dass irgendwas nicht passt bei mir. Ich habe überall nur Probleme gesehen und mich über alles Mögliche aufgeregt. Ich hab was ändern müssen. So habe ich beschlossen, für drei Monate hochzufahren, einfach nur mit meinem Bus und meinem Werkzeug, und zu schauen, ob ich es schaffe, ohne Geld durchzukommen und da und dort ein wenig zu arbeiten. Über einen Vorarlberger habe ich von einem Mann gehört, der da oben Blockhütten baut, und ihn kontaktiert. Am 2. Juni bin ich zu ihm gefahren und hab die Familie kennengelernt.

Eine Begegnung, die dich nicht mehr losgelassen hat.

Die Familie hat es extrem schwer. Der Sohn lebt infolge einer Krebserkrankung ohne Kurzzeitgedächtnis und das zweite Kind, die kleine Svea, ist Vollautistin. Sie kann nicht sprechen, nicht alleine essen – eigentlich überhaupt nichts selbständig machen. Diese Familie leistet Unglaubliches. Ursprünglich wollte ich nur drei Wochen bei ihnen bleiben, daraus sind dann acht geworden, weil ich gemerkt habe: Ich kann hier etwas bewirken mit meiner Hilfe. Zudem hatte ich mit dem Mädchen – ich kann gar nicht sagen, was für eine Ebene das ist – aber wir hatten sofort eine Verbindung. Ich habe sie auf die Schultern genommen und bin mit ihr spazieren gegangen, und noch heute kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Das hat so viel in mir bewegt, das hat mir so viel Zufriedenheit gegeben, dass ich zurück nach Hause gekommen bin und gedacht habe: Eigentlich habe ich keine richtigen Probleme.

Das hat so viel in mir bewegt, das hat mir so viel Zufriedenheit gegeben, dass ich zurück nach Hause gekommen bin und gedacht habe: Eigentlich habe ich keine richtigen Probleme.

Nach deiner Rückkehr hast du eine Spendenaktion gestartet, durftest bei deinem Nachbarn Ingo Metzler (Metzler Käse-Molke) den Besuchern und Besucherinnen die Geschichte der Familie erzählen. Gab es einen bestimmten Moment, in dem du gedacht hast: Ich muss etwas tun.

Während meiner Zeit oben hab ich daran eigentlich gar nicht gedacht. Zu Hause hab ich Anita, meiner Lebensgefährtin, von der Familie erzählt und gemerkt, dass mich besonders das Mädchen wahnsinnig berührt hat. Und diesem Mädchen könnte man noch mehr helfen, wenn die Familie finanziell ein bisschen mehr Spielraum hätte. Ich möchte aber gar nicht, dass es so rüberkommt, als wären sie total arm. Aus unserer Sicht sind sie sicher arm, aber sie selbst haben die Situation gut akzeptiert und können damit umgehen. Meine Idee war dann, dass ich bei Ingo den Besuchern davon erzähle, Anita macht Marmelade als Dankeschön und so sammeln wir ein bisschen Geld, mit dem wir an Weihnachten hochfliegen und sie überraschen. Dadurch, dass ich jetzt hier die Möglichkeit habe, die Geschichte zu erzählen, hab ich sie natürlich vorher informiert. Denn sie gehen sonst nach außen hin sehr zurückhaltend mit ihren Problemen um.

Hilfe annehmen fällt grundsätzlich vielen Menschen nicht leicht, weil man es oft als Zeichen von Schwäche sieht.

Es gäbe auch bei uns sehr viele Menschen, die total am Limit sind, aber sie trauen sich nicht, das zuzugeben. Das liegt sicher auch an unserer Gesellschaft, in der es sehr stark darum geht, wer du bist, was du machst und was du hast. Ich arbeite in der Fahrzeugaufbereitung, aber wenn man mich fragt, was ich mache, sage ich immer absichtlich „Autoputzer“. Dabei beobachte ich oft, wie ich vom Gegenüber gleich automatisch in eine Schicht einsortiert werde, obwohl sie mich als Menschen gar nicht kennen. Umgekehrt habe ich manchmal das Gefühl, dass Menschen immer seltener einfach helfen, vielleicht auch, weil sie es als Schwäche sehen oder unter ihrem Wert, etwas ohne Gegenleistung zu tun.

Wie reagieren die Menschen, wenn du die Geschichte dieser Familie erzählst?

Die einen hören zu, die anderen weniger. Gerade Mütter und Väter bewegt es meistens sehr, das merkst du sofort. Mir geht es dabei aber gar nicht darum, dass alle etwas spenden „müssen“. Vielleicht kann ich auch dahingehend etwas bewegen, dass uns wieder bewusst wird, wie gut es uns geht. So wie es mir auch gegangen ist. Dafür muss man natürlich nicht nach Schweden, solche Geschichten gibt es auch bei uns, aber für mich war es halt da oben. Möglicherweise bewege ich damit also auch auf einer menschlichen Ebene etwas. Und vielleicht reagieren manche Menschen dadurch in manchen Situationen anders.

Vielleicht kann ich auch dahingehend etwas bewegen, dass uns wieder bewusst wird, wie gut es uns geht. So wie es mir auch gegangen ist.

Geht es dir auch darum, zu zeigen, dass man als einzelner Mensch durchaus etwas bewirken kann?

Am Anfang habe ich das für mich getan, ich wollte einfach ein bisschen Geld sammeln. Aber mit der Möglichkeit, die Geschichte bei Ingo zu erzählen, mit diesem Interview – da sind sehr viele Türen aufgegangen, und ja, das zeigt schon: Auch als einzelner Mensch kann man sehr viel bewegen. Wenn ich einfach daheim sitze und meinen Job mache und mein Leben lebe, dann werden die das da oben auch irgendwie schaffen. Aber: Ich kann dazu beitragen, dass es ihnen besser geht. Das Glück hat bei dieser Familie schon länger nicht mehr vorbeigeschaut, und dass ihnen jetzt einfach jemand helfen will, das bewegt sie ganz extrem. Und das gibt natürlich auch mir extrem viel zurück.

Das Interview ist im Rahmen unserer Kooperation mit dem Magazin „B’sundrig“ von Sutterlüty entstanden und mit einem Spendenaufruf in der Ausgabe 06/2018 erschienen. Dank der dadurch erreichten Aufmerksamkeit konnte Günter der Familie zu Weihnachten die unglaubliche Spendensumme von 20.170 Euro überbringen. Über Günter hat uns dann folgende Nachricht und nachstehendes Bild aus Lappland erreicht: „Es ist unglaublich und rührend zu erfahren, dass es so viele nette Menschen in der Ferne gibt, die uns auf diese Weise unterstützen. Wir sind sprachlos, dass es so etwas heute noch gibt und ihnen allen von Herzen sehr dankbar. Tausend Dank aus Lappland! Ihr seid bʼsundrig!“

Text: Matthias Köb // Friendship.is
Fotos: Lukas Hämmerle // Friendship.is & privat