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Christian Seiler
Über das Schreiben

Wie schreibt man über jemanden, der schreibt? Am besten man lässt ihn erzählen. Christian Seiler schreibt seit über 30 Jahren – als Journalist, Autor von Biografien, Kolumnist und Kulinarik-Begeisterter. Wir haben ihn gefragt, welche Fragen er sich beim Schreiben stellt, welcher Teil im Schreibeprozess ihm der liebste ist und was er tut, damit „das Glück ihn findet“.

Du schreibst seit über 30 Jahren. War dir immer schon klar, dass du das willst?

Ja, eigentlich schon. Ich bin ratlos aus der Schule gekommen, habe begonnen Jus und Politikwissenschaft zu studieren, war aber von der Uni unendlich enttäuscht und habe dann die allererste Möglichkeit wahrgenommen, um zu schreiben zu beginnen. Ich hatte sehr viel Glück, weil ich genau in die Zeit hineinkam, in der ein Paradigmenwechsel im Sinne eines ganz neuen subjektiven Journalismus passiert ist, der mit dem konventionellen Journalismus wenig zu tun hatte. Das waren die unglaublichsten Jahre – ich habe beim Wiener gearbeitet, war Kulturjournalist bei der Weltwoche in Zürich, dann Chefredakteur beim Profil. Ich konnte alles machen, was ich machen wollte, bin viel gereist und habe den Journalismus als Vehikel benutzt, um Leute kennen zu lernen, die mich interessieren – ob Musiker, Literaten, andere Kulturschaffende oder Politiker. Und wenn du begeistert bist von dem, was die tun und dich damit auf eine intelligente Art und Weise auseinandersetzt, wirst du mit den Leuten auch über die erste Geschichte hinaus in Verbindung bleiben... 

... bis sie dich bitten, ihre Biografien zu schreiben. Wie gehst du vor, wenn du eine Biografie schreibst? Gibt es bestimmte Fragen, die immer am Anfang stehen?

Ich mache zwei Arten von Biografien: Von den ‚echten’ Biografien (Anm.: aus Sicht des Autors) habe ich eigentlich erst eine geschrieben, das war die von André Heller, den ich bereits gut kannte. Da habe ich eine Ordnung nach den Dingen vorgenommen, die ich von ihm wusste und so haben wir uns über die Jahre durchgehantelt bis am Schluss dieses fette Buch („Feuerkopf“, C. Bertelsmann) da war. Bei den anderen biografischen Arbeiten habe ich immer mit den Menschen gemeinsam deren Lebensgeschichten aufgeschrieben. Das heißt, ich habe in der Ich-Form als Toni Innauer, Philipp Lahm, David Lama, Roland Trettl oder Hansi Söllner geschrieben. Dabei ist es meine wichtigste Aufgabe, die Stimme des jeweiligen Menschen zu sein. Da geht es weniger um Fragen, die man stellt, als vielmehr darum, die Sprache der Partner zu erwischen – so dass die Menschen das Gefühl haben ‚Das bin ich’, wenn sie den Text lesen.

Ist das nicht unheimlich schwierig? 

Es ist Übungssache. Wenn du Sprachen gut hören kannst, dann funktioniert das eigentlich von allein. Oft sehe ich schon bei den ersten Transskripten der Gespräche, in welche Richtung das gehen muss. Beim Hansi Söllner hatten wir grammatikalisch eine vogelwilde Herangehensweise, die mir aber sehr gefallen hat. Da habe ich mich immer wieder bei Ludwig Thoma oder anderen bayrischen Volksschriftstellern bedient um mich des Sounds zu vergewissern. Beim Toni Innauer war es eher so, dass man entkomplizieren musste, weil er, wenn er sehr präzise sein will, dazu neigt, auszuufern und zu detailreich zu werden.

Und dann entwickelst du eine Strategie, in welche Richtung es gehen soll.

Nach der Arbeit mit den Gesprächspartnern kommt eine relativ lange Zeit, in der ich mich alleine mit dem Thema auseinandersetze. Dann kommt der entscheidende Punkt, an dem du einen guten Teil des Manuskripts abgibst und den eigentlichen Urheber lesen lässt. Und da stellt sich die zentrale Frage: Erkennt er sich wieder oder nicht?

Welche Momente im Prozess des Schreibens sind für dich die schönsten?

Der schönste Moment ist der, wo du dir zu 100 Prozent sicher bist, dass du die richtige Sprache gefunden hast. Dann hast du den reinen Prozess des Schreibens vor dir, und den liebe ich sehr. Die Wochen, in denen du das Haus aufstellst, empfinde ich als großartig. Das Schwierigste hingegen ist, das Fundament auszuheben und herauszufinden, wie man die Geschichte erzählen soll, welche Sprache man wählen soll und wie nah man an die Figur herangeht: Ist das jemand, der mit dem Leser sofort per Du ist oder einer, der eher distanziert für sich selbst nachdenkt und andere daran teilhaben lässt?

Kill your darlings.

Was hast du beim Schreiben gelernt?

Ich habe das Gefühl, dass ich dem, was ich schreibe, oft misstraue. Daher bin ich immer wieder wahnsinnig froh, wenn ich merke, dass das, was ich mache, stimmt. Wenn du sehr routiniert bist, ist es sehr verlockend, dass du dir selbst alles glaubst und dir auf den Leim gehst. Ich schreibe eine wöchentliche Kolumne im Tages-Anzeiger Magazin (Anm.: der Tages-Anzeiger ist die am meisten abonnierte überregionale Schweizer Tageszeitung) und bekomme immer wieder nette Briefe von Leuten, die sagen, wie schön das alles geschrieben ist. Wenn du beginnst, das zu glauben, wird’s gefährlich. Es gibt da so einen schönen Satz von Stephen King aus diesem tollen Buch „On writing“, wo er sagt: „Kill your darlings“. Damit meint er: Formulierungen, die dir besonders gut gefallen, darfst du nicht stehen lassen, wenn sie nichts zum Inhalt beitragen. Und ja, ich bin überzeugt davon, dass es auf Kosten der Substanz geht, wenn du dich in Formulierungen verlierst.

Hast du eine Routine hinsichtlich Zeit und Ort beim Schreiben?

Mittlerweile schreibe ich zu Bürozeiten, am liebsten vormittags. Früher habe ich in der Nacht geschrieben, aber dazu bin ich mittlerweile zu müde. Was die Orte betrifft, habe ich überhaupt keine Routine, weil ich überall schreiben kann. Mein allerliebstes Büro ist der Zug, weil ich diese Kapselsituation so gut finde: Du weißt, du hast jetzt vier Stunden und zwanzig Minuten von Wien nach Innsbruck – das steigert meine Produktivität.

Woher weißt du, wann ein Text fertig ist?

Ein Text ist nie fertig. Einer meiner früheren Chefredakteure hat einmal gesagt, er misstraut jedem Journalisten, der vier Tage vor Redaktionsschluss einen Artikel abgibt, weil jeder, der nach Perfektion strebt, so lang an dem Ding rumschraubt, bis es ihm aus der Hand genommen wird. Es gibt Leute, die daran zerbrechen – große Schriftsteller, die nur ein Buch veröffentlicht haben und dann nichts mehr, weil sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden.

Was sind deine persönlichen FAQs?

Die schönste Frage leihe ich mir von Peter Fischli und David Weiss: Findet mich das Glück? Ich denke immer wieder darüber nach, was ich dazu beitragen kann, dass es mir gut geht in meiner Familie und dass es meiner Familie gut geht mit mir. Außerdem ist die Frage „Bin ich glücklich mit dem, was ich tue?“ mein ständiger Begleiter. Eine Angewohnheit von mir ist, dass ich jeden Tag mindestens eine Stunde gehe. Das ist die Zeit, in der ich mir überlege, wo ich stehe. Dann überlege ich mir ob mir das, was ich gerade mache, wirklich Spaß macht. Sehr oft denke ich über neues Zeug nach – ich bin in der luxuriösen Situation, mir aussuchen zu können, was ich als nächstes machen möchte. Diese Situation ist aber auch sehr fragil, weil sich das jederzeit ändern kann.

Ich will nicht an Sitzungen teilnehmen, die mir auf den Wecker gehen, sondern die Zeit mit netten Menschen verbringen.

So habe ich Entscheidungen getroffen, die viele Leute nicht verstanden haben: Ich habe mehrmals in meinem Leben superdotierte Jobs liegen gelassen, weil ich das Gefühl habe, ich muss mit meiner Zeit sorgfältig umgehen. Ich will nicht an Sitzungen teilnehmen, die mir auf den Wecker gehen, sondern die Zeit mit netten Menschen verbringen. Das ist auch der Grund, warum ich hier bin – und es hat sich bestätigt: Lauter nette Leute und so ein wahnsinnig engagiertes Projekt, das es ermöglicht, sich überraschen zu lassen.

www.christianseiler.com

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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