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Said Etris Hashemi
Zuhören.

Live vom FAQ Bregenzerwald 2025

in Deutschland ist in diesen Tagen eine große Debatte entflammt. Ausgelöst hat sie eine Aussage des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU), derzufolge es im „Stadtbild noch immer dieses Problem“ gäbe. Mit „diesem Problem" meint er junge Männer mit erkennbar migrantischer Herkunft. Zum Beispiel diesen wunderbaren Menschen:

Sein Name ist Said Etris Hashemi. Am 19. Februar 2020 überlebte er, schwer verletzt, den Anschlag eines rechtsextremen Täters in der deutschen Stadt Hanau. Sein kleiner Bruder und acht weitere migrantische Menschen wurden an diesem Tag ermordet. Said Etris und andere Angehörige gründeten die Initiative 19. Februar 2020 und begingen neue, heute beispielgebende Wege in der Aufarbeitung der Geschehnisse und im Umgang mit der Öffentlichkeit, etwa durch den Hashtag #saytheirnames, der die Opfer in den Fokus stellt und dem Täter jede Aufmerksamkeit verwehrt.

Beim diesjährigen FAQ Bregenzerwald durften wir Said Etris Hashemi zu Gast haben. In einem sehr bewegenden Gespräch mit der österreichischen Autorin und Journalistin Melisa Erkurt erzählte er von dem Tag, der sein Leben veränderte, aber auch, wie es sich schon davor anfühlte zu jenen zu gehören, die mit Aussagen wie jener Merz’ gemeint sind. 

Dem Sager zum „Problem im Stadtbild" liegt ein „Problem" im Menschenbild zugrunde, das das rechte und leider immer öfter auch vermeintlich mittlere politische Feld in vielen europäischen Ländern und den USA gerne transportiert. Man nennt diese Strategie auch Othering: Das bewertende Unterscheiden zwischen sich selbst bzw. der eigenen Gruppe und „den anderen“. In dem „die anderen“, in diesem Fall nicht-weiße Menschen, abgewertet werden, soll die eigene (Macht-)Position gefestigt werden. Der entscheidende Punkt ist diese Wertung: Dass Menschen, ja auch Kulturen, soziale Gruppen usw. verschieden sind und auch verschiedene Vorstellungen und Bedürfnisse haben, ist offensichtlich und unbestritten. Das Problem entsteht dort, wo eine Gruppe gegenüber einer anderen als weniger wertvoll dargestellt wird: Dann gibt es plötzlich Menschen erster und zweiter Klasse.

Othering steht in diametralem Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die immerhin 147 Länder der Welt anerkennen. Und es legte den Grundstein für die Verkettung von grauenhaften Ereignissen, die am 19. Februar 2020 zum Tod von neun Menschen mit migrantischer Herkunft geführt haben. Othering war die Grundlage dafür, dass der amtsbekannt rechtsextreme Täter seine penibel geplante Tat umsetzen konnte, weil sein Rassismus bagatellisiert wurde. Othering machte es akzeptabel, dass ein Lokalbesitzer auf Anweisung der Polizei seinen Notausgang verschlossen hält, damit seine (hauptsächlich migrantischen und daher grundsätzlich verdächtigen) Stammgäste bei der nächsten Razzia nicht entkommen können – und auch nicht dem Täter am Tag des Anschlags. Othering machte es tolerierbar, dass ein durch mehrere Schüsse schwer Verwundeter – Said Etris Hashemi – vor der polizeilichen und medizinischen Notversorgung nach seinem Ausweis gefragt wird, denn was soll ein migrantischer Mann sein wenn nicht der Täter?

Was aber tun gegen Othering? Betroffene sagen immer und immer wieder: Sprecht mit uns, nicht über uns. Zuhören ist das Gebot der Stunde. Genau das wollten wir auch beim FAQ 2025 tun – „Zuhören“ war folglich auch der Titel des Gesprächs von Said Etris Hashemi und Melisa Erkurt. Ausschnitte davon könnt ihr nun hier anhören.

Seine ganze Geschichte erzählt Hashemi in seinem Buch „Der Tag an dem ich sterben sollte“, und ihr solltet sie unbedingt lesen (Spiegel-Bestseller!). Ebenso unbedingt empfehlen wir, Melisa Erkurt mit ihrem Online-Medium „Die Chefredaktion" zu unterstützen: Auch dort erhalten jene, die so oft nur als „die andern“ behandelt werden, eine Stimme. Über Othering im Bildungssystem hat auch sie einen Bestseller geschrieben: "Generation Haram".

Zuhören. Nachlesen. Das eigene Othering hinterfragen. Wenn das nächste Mal Migrant:innen geothert werden, nicht an die gefährlichen Messerstecher denken, die wir, wenn wir ehrlich sind, alle nur aus den Medien kennen. Sondern an die vielen, vielen Beispiele von migrantischen Menschen, die unser Leben und unsere Gesellschaft stützen, halten, bereichern. Und an all die migrantischen Eltern, die Angst um ihre Kinder haben, weil sie überall unter Generalverdacht stehen.

Fotos: © Niko Havranek

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