Lambert
Der Maskenmann und das Piano
Lamberts Hände lieben Klaviertasten. Seit sie klein sind, spielen sie darauf. Jetzt ist der Pianist groß. Er tritt vor vielen Menschen auf und zeigt, wie es sich anhört, wenn seine Finger den Tasten begegnen. Sich selbst zeigt er allerdings nicht: Auf der Bühne trägt er stets Maske. Und das nicht, um Aufsehen zu erregen. Eher im Gegenteil.
Lambert liegt in der Wiese hinter der Alten Säge in Bezau, dem Veranstaltungsort, in dem er in ein paar Stunden spielen wird, und döst. Das Klavier steht in der Mitte des Raumes und wirkt wie ein stiller Beobachter des Treibens, mit dem die Vorbereitungen eines Konzerts verbunden sind: Man trägt Holzsesseln durch den Raum und verlegt Kabeln, testet die Töne der Tasten. In der provisorischen Küche links hinten kochen Nudeln und feines Rindfleisch für den Snack davor, im Hintergrund klirren Gläser. Es ist ein wunderschöner Spätsommernachmittag, die Sonne scheint nicht mehr so intensiv wie im Juli und wir beschließen, gleich inmitten der grünen Wiese über die Geschichte von Lambert, die Eigenheiten seiner Musik und das Spiel von Nähe und Distanz zu sprechen.
Ich hatte Schiss vor der Authentizitätspflicht.
Lambert wirkt entspannt. Er strahlt die Art Ruhe aus, die ein Künstler, dessen Kunst ankommt, mit der Zeit erreicht. Dass er heute die Alte Säge bespielen wird, scheint ihn zu freuen. Vor ein paar Jahren wäre das vermutlich noch anders gewesen: Der Auftritt vor einem Publikum hat ihn anfänglich so abgeschreckt, dass es viel Überzeugungsarbeit brauchte, ihn auf den Gedanken zu bringen, es mal auszuprobieren. Ausschlaggebender Motivator war ein Freund, der Lambert von „Spinnst du? Instrumentale Musik interessiert doch keine Sau!“ zu „Ich spiele total gerne live, weil ich die direkte Rückmeldung mag“ führte.
Der Weg dorthin war gepflastert mit Unsicherheit, Angst, Scham und ähnlichen quälenden Gefühlen, denen man lieber aus dem Weg geht als sie zu überwinden. Nur der Maske mit den langen fühlerartigen Hörnern ist es zu verdanken, dass Lambert der Öffentlichkeit sein Können präsentieren konnte, ohne sich selbst zeigen zu müssen: „Ich hatte total Schiss vor dieser Authentizitätspflicht. Davor, dieser wahnsinnig deepe Künstler sein zu müssen, der seine Gefühle auf 88 Tasten zum Ausdruck bringt. Mit der Maske habe ich mich sicher gefühlt.“ Und das gelte noch heute.
Lamberts Zweifeln an sich selbst und an dem, was seine tanzenden Hände dem Klavier entlockten, begegnete die Öffentlichkeit ganz anders als befürchtet: Sie fand den Maskenmann richtig gut. Ob im Vorprogramm von Nils Frahm, dem umjubelten Hamburger Pianisten oder als Support-Show für den isländischen Künstler Ólafur Arnalds – man schätzte Lamberts Stücke, der, als würde er es nicht glauben, sich einmal in der Pause seines eigenen Konzerts unter das Publikum mischte und nachfragte, wie die Show des Pianisten mit der Maske denn so sei. Glücklicherweise fiel das Feedback damals positiv aus.
Mit der Zeit stieg das Selbstbewusstsein und irgendwann fing Lambert an, das Publikum miteinzubeziehen. Heute unterhält er mit seinen kleinen Anekdoten, Beobachtungen und Einwürfen hunderte Zuhörer. „Sie gucken gut aufs Klavier, andere schauen so als wäre es ein Tatort“ ist eine davon, die vorsichtige Forderung nach dem einen oder anderen „Uh!“ eine andere. Die Distanz, die er durch die Maske schafft, wandelt sich durch diese Interaktion in Nähe. Eine Nähe, die ohne die Maske vielleicht zu unmittelbar wäre.
Dass der ausgebildete Jazzpianist einmal sein stilles Komponier-Kämmerchen verlassen würde, war nur eine Frage der Zeit. Denn einer, der schon als 5-Jähriger keine Klavierstunde schwänzt, der die Disziplin aufbringt, sieben Jahre lang Tag für Tag ein neues Stück zu schreiben und der von sich selbst sagt, außer Klavierspielen könne er nichts, kann sich nicht für immer verstecken. Wenn er das Klavierspielen als „Weg des geringsten Widerstands, den ich aus einer Alternativlosigkeit heraus gewählt habe,“ bezeichnet, dann wird man sich wundern, wenn man ihn spielen hört. Denn von diesem kühlen Pragmatismus ist in seinen eigenen Stücken und den Reworks von Bands wie Boy, Ja, Panik oder Tocotronic nichts zu spüren. Im Gegenteil. Beim Zugabe-Stück an jenem Abend sollten die Fühlerhörner der Maske so stark zittern, dass man glauben würde, sie fiel gleich zu Boden und zersprang in tausend Teile.
Über Reduktion, Zeitgeist und die Arbeit der Nacht
Lamberts Musik wird gerne in die Entschleunigungs- und Achtsamkeitslade gesteckt, wie er erzählt. „Auf persönlicher Ebene interessieren mich diese Themen überhaupt nicht,“ so der Künstler, der in Berlin lebt. „Aber ich habe gemerkt, dass meine Musik in der Reduktion am besten funktioniert. Ich habe versucht, durch das Klavierspielen immer mehr zu entfernen. Und ich hatte Glück, denn dieses ganze Klavierding, diese Rückbesinnung auf akustische Werte, auf das Konzerterlebnis, das es ermöglicht, die Tonproduktion nachzuvollziehen – all das entspricht dem Zeitgeist. Vor zehn Jahren wäre das noch unmöglich gewesen,“ sagt Lambert, der auch in seinen Musikvideos auf das Stilmittel der Reduktion zurückgreift, wenn seine Hände an verlassenen Orten am abwesenden Klavier spielen. Genau so spielte das Wniger im Sinne einer Reizreduktion bei der Produktion seines letzten Albums „Stay in the dark“ eine Rolle: „Ich habe es mir zum Dogma gemacht, die Platte in der Nacht aufzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass mich die Atmosphäre, die nachts herrscht, anders performen lässt. Und es hat sich einfach richtig angefühlt.“
Das Gespür, wann sich in der Musik etwas richtig anfühlt, hat Lambert nicht einfach geschenkt bekommen. Er hat es sich hart erarbeitet. Seine Arbeitsweise? Wenn sich eine Idee richtig anfühlt, dann versucht er, sie so schnell wie möglich umzusetzen: „Ich finde es spannend, die Dinge, die ich intuitiv wahrnehme, schnell zu einer kompakten Idee zu bringen. Ich mag es, wenn der Weg zwischen Idee und Endergebnis kurz ist.“
Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is