Ellen Nenning
Chronologie einer Neuausrichtung
Das Hotel Gams in Bezau ist seit fast 370 Jahren in Familienbesitz. Seit 2005 ist es ein „Genießer- und Kuschelhotel“ mit 2-Hauben-Küche, ausgedehntem Spa-Bereich, Zimmern mit Himmelbett, eigenem Whirlpool und Sternenhimmel – und der Möglichkeit, sich an der Wand zu verewigen. „Die wahrscheinlich größte Liebeserklärung der Welt,“ sagt Ellen Nenning, die gemeinsam mit ihrem Partner Andreas Mennel das Hotel betreibt, dazu.
Am Anfang stand eine große Frage: Sollen wir übernehmen oder nicht? Denn dass die damals 24-jährige Ellen Nenning und ihr drei Jahre älterer Partner Andreas Mennel nach dem plötzlichen Tod von Ellens Vater das Unternehmen – bis dato im Besitz der Großfamilie - weiterführen würden, war gar nicht so klar. „Es war zwar vorbesprochen, dass ich bei Interesse eines Tages übernehmen kann, aber als es plötzlich spruchreif wurde, hatte ich noch überhaupt nicht damit geliebäugelt“, so Ellen Nenning. Ein Sprung ins kalte Wasser also, den sie und Andreas dann doch wagten. „Wir waren jung und sahen es als Chance,“ so Ellen, „und jedes Fettnäpfchen, in das wir getreten sind, wurde kopfschüttelnd begleitet – aber mit den wohlwollenden Worten ‚Sie können’s nicht besser wissen’“. Der Betrieb, seit 1648 in Familienhand, war in einem betriebswirtschaftlich maroden Zustand, als Ellen und Andreas Ja zur Übernahme sagten und damit vorerst auch zu einem Leben, in dem der Job zur 24/7-Aufgabe wurde.
Phase 1: Einspielen und Aufbauen
Bevor sie sich Gedanken über eine Neuausrichtung machen konnten, mussten sie eine Grundlage schaffen, die solche Gedanken überhaupt zuließ. „Anfangs haben wir überall selber mitgearbeitet. Wenn alle Gäste im Bett und alle Mitarbeiter weg waren, haben wir zusammen die Spülküche gemacht – was durchaus meditativ war – und darüber geredet, wie es weitergehen könnte.“ Und dass es so, wie es war, nicht weitergehen konnte. „Uns war klar, dass wir arbeiten wollten, um zu leben und nicht umgekehrt. Und dass die Menschen einen wirklich guten Grund brauchten, zu uns zu kommen,“ so Ellen.
Phase 2: Ausrichtung auf Wandern
Beim gemeinsamen Tellerwaschen kristallisierte sich langsam Idee Nummer 1 heraus: Das Hotel, mittlerweile vom 3 Stern- auf einen 4 Stern-Betrieb umgerüstet, sollte ein Wanderhotel werden. Andreas ließ sich zum Wanderführer ausbilden, man sammelte Wanderrouten und Tipps. „Aber dann haben wir gemerkt, dass uns das Unternehmersein keinen Spaß macht, wenn man von unkontrollierbaren Faktoren wie zu wenig Schnee, zu viel Regen oder ungünstig gelegenen Feiertagen abhängig ist“, sagt Ellen. Auch die Kulinarik – ein Thema, für das das Hotel bekannt war und wofür es mit zwei Hauben ausgezeichnet wurde – kam zu kurz. Was ihnen vorschwebte, war ein saison- und wetterunabhängiges Konzept.
Phase 3: Das Gams wird zum Genießer- und Kuschelhotel
Nach langem Hin- und Herüberlegen, nächtelangen Diskussionen, unzähligen Gesprächen mit Freunden, Familie und Gästen nahm ein bestimmtes Thema langsam Form an: die Zeit zu zweit. „Egal mit wem wir über dieses Thema gesprochen haben, es hat jeden berührt – egal ob frisch Verliebte, Wiederverliebte, nebenbei Verliebte oder überzeugte Singles. Und da war uns klar, da lässt sich etwas daraus machen,“ so Ellen. Sie schrieben ein 80 Seiten-Konzept und suchten bei der Bank um einen Kredit an – der zuerst einmal abgewiesen wurde. „Da wurde uns klar, dass Bankleute Sicherheiten brauchen,“ sagt Ellen. Beim Folgetermin präsentierten sie als Plan B die Idee, ein Seminarhotel zu machen, wenn das Genuss- und Kuschelkonzept nicht funktionieren sollte. So bekamen sie die Zusage und stürzten sich in die Umsetzung der Idee, die „Nummer Eins für die Zeit zu zweit“ zu werden – anders als andere Hotels, die in diese Richtung gingen, denn „bei uns hört das Angebot dort auf, wo es persönlich, erotisch und intim wird.“ Was dann anfing, bezeichnet Ellen als „schönste Zeit unseres Unternehmertums“– sie reisten um die Welt, besuchten den Romeo und Julia-Balkon in Verona, versuchten herauszufinden, was Paris zur Stadt der Liebe machte und warum Liebende so gerne nach Venedig fuhren. Sie fragten sich, welche Bedürfnisse Paare für die Zeit zu zweit hatten und beschlossen, ihnen „für ihre ganz eigene persönliche Geschichte einen Rahmen, eine Kulisse zu bieten“. Am Valentinstag des Jahres 2005 erfolgte der Spatenstich für das Genießer- und Kuschelhotel Gams – ein Konzept, das trotz aller Zweifel und Ängste aufgehen sollte.
Egal mit wem wir über dieses Thema gesprochen haben, es hat jeden berührt …
Phase 4: Ausbau des Kuschelkonzepts
Es lief so gut, dass Ellen und Andreas das Konzept 2009 erweitern wollten. Sie erwarteten wieder Widerstand von Seiten der Bank – „Wir brauchten die doppelte Menge Geld und hatten auch ein wesentlich größeres Bauvolumenvorhaben“ – aber es kam anders: „Die Bank sagte: ‚Klar bekommt ihr das Geld, ihr wisst ja was ihr tut’“, so Ellen. „Während wir bis 2005 immer gegen das Außen gekämpft haben und uns gegenseitig bestärkt haben, passierte jetzt etwas Interessantes: Die Zweifel kamen nicht mehr aus dem Außen, sondern aus dem Innen. Das war eine ganz andere Kraft, die sich entwickelt hat und ein ganz anderer Druck, der dadurch entstanden ist.“ Die Angst davor, die Erwartungen derer, die an sie glaubten und die für sie arbeiteten, zu enttäuschen, war größer als beim ersten Mal. Der neue Feind war keine Kraft von außen, sondern die eigenen Gedanken. Dennoch sollte alles gut gehen. Sie erweiterten den Bau und blieben erfolgreich.
Phase 5: Und nun?
Alles läuft so, wie es sollte. Der ursprüngliche Wunsch, zu arbeiten um gut leben zu können, hat sich erfüllt. „Mit zunehmendem Alter, Luxus und Erfolg und zunehmender Bequemlichkeit hat man das Gefühl, dass man konservativer wird und weniger risikofreudig. Dann kommt irgendwann die Frage: Was jetzt?“, so Ellen. Zurücklehnen und genießen wäre eine Option, allerdings keine dauerhafte. „So etabliert können wir nicht sein, dass uns der nächste Schritt nicht reizen würde,“ sagt Ellen. Mehr verrät sie nicht. Außer: „Wir haben eine gute Ausrede: Der nächste Schritt liegt nicht nur bei uns allein.“
Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is