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Shai Hoffmann
Zeit ist Shai

Seit 2007 lebt Shai Hoffmann mit einer Spenderniere seines Vaters. Auf zehn bis zwölf Jahre wird die Funktionsfähigkeit eines solchen Spenderorgans geschätzt. Die Frage, wie viel Zeit ihm noch bleibt und was er damit machen will, ist für Shai dadurch eine sehr konkrete. Für ihn ist klar: Er will noch Vieles machen, und Gutes. Auch wenn ihm das alles manchmal Angst macht.

„Zeit ist im Kontext unserer Leistungsgesellschaft nichts Positives. Sie ist ein Druckmittel des Kapitalismus, das uns im schlimmsten Fall nicht nur physisch sondern auch psychisch krank macht.“ eröffnet Shai Hoffmann das Gespräch. Und kritisiert unsere starke Abhängigkeit von diesem Konstrukt Zeit. Doch natürlich strukturiert auch er seine Tage so, dass er in der verfügbaren Zeit möglichst viel schafft. „Das ist ja nicht per se etwas Schlechtes, es kommt darauf an, was man aus dieser Zeit tatsächlich macht.“ Er selbst nimmt sich jeden Morgen eineinhalb Stunden und setzt sich mit einer Zeitung in sein Lieblingscafé. Er nennt dies seine Ruheinseln. Genauso wie die monatlichen Kurztrips in verschiedene europäische Städte, die er seit Kurzem regelmäßig unternimmt. „Ich brauche die täglichen Auszeiten für mich selbst. Zudem gibt es so viel Spannendes zu sehen auf der Welt, dass ich mir vorgenommen habe, diese kleinen Reisen wirklich fix einzubauen.“

„Shai“ ist hebräisch und heißt Geschenk. Für den 35-Jährigen ist Zeit ein Geschenk. Vor gut zehn Jahren erhielt Shai nach mehreren Jahren mit schlechten Nierenwerten von seinem Vater eine Spenderniere. Die Transplantation bewahrt ihn vorerst vor der Dialyse. Allerdings ist die Funktionsfähigkeit einer Spenderniere im Schnitt auf zehn bis zwölf Jahre beschränkt und von vielen verschiedenen Parametern abhängig. „Ich weiß, dass ich nur begrenzt Zeit habe. Dieser Gedanke begleitet mich ständig und beeinflusst alle Entscheidungen, die ich treffe.“ Denn ein Leben mit Dialyse bedeutet zahlreiche Einschränkungen: verminderte Leistungsfähigkeit, teilweiser Verlust von Mobilität und Unabhängigkeit sowie viele Krankenhausaufenthalte. Schon heute muss Shai oft stationär behandelt werden, weil jeder Infekt eine Gefahr für das Spenderorgan darstellen kann. „Diese Tage im Spital sind für mich wie ein Brennglas. Wenn ich sehe, wie andere Menschen leiden und sterben, kommt in mir immer der Wunsch auf, möglichst viel Licht und Liebe in mein Leben zu lassen und die Zeit zu nutzen, die ich habe.“ Darum ist es dem geborenen Berliner wichtig, Dinge zu tun, die er liebt – auch im Beruf. Und Shai liebt vieles. Er ist Social Entrepreneur und führt seit 2013 seine eigene Beratungsagentur für Crowdfunding-Kampagnen und Kommunikationsstrategie. Im gleichen Jahr übernahm er von seinem Freund Van Bo Le-Mentzel das Projekt „Karma Chakhs“ (heute „Karma Classics“) – eine Fair-Trade-Kampagne für Sneakers und mittlerweile auch Rucksäcke. „Wir kooperieren mit Unternehmen, die bereits faire und nachhaltige Produkte herstellen. Diese räumen uns eine vereinbarte Menge an Produkten ein, die wir mit unserer Crowd gemeinsam designen und schließlich produzieren und konsumieren, also prosumieren“, erklärt Shai.

Ich weiß, dass ich nur begrenzt Zeit habe. Dieser Gedanke begleitet mich ständig und beeinflusst alle Entscheidungen, die ich treffe.

Vor seiner Zeit als Social Entrepreneur – er hat auch eine Dozentenstelle in diesem Bereich an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht inne – arbeitete er als Radiomoderator und gründete gemeinsam mit Kommilitonen eine Hochschul-Band, in der er Sänger war. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Shai bereits zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn bekannt. Er nahm an der Casting-Show „Star Search“ teil und war lange Zeit Teil der erfolgreichsten deutschsprachigen Fernsehsoaps: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Verliebt in Berlin“ und „Verbotene Liebe“.

„Ich weiß, dass ich sehr privilegiert bin, da ich eigentlich immer das machen konnte, was ich wollte. Ich durfte eine kostenlose Hochschulausbildung genießen und bin den richtigen Menschen begegnet, die an mich geglaubt und mich gefördert haben.“ sagt Shai. Auch wenn er aus heutiger Sicht nicht mehr in einer Daily Soap mitwirken würde: Die dort gesammelten Erfahrungen möchte er nicht missen. Heute macht Shai nur noch Sachen, die Menschen zusammenbringen und gut für sie sind – „und somit auch gut für mich.“ So plant er beispielsweise mit seiner Initiative „Get Engaged“ und dem Schriftsteller Armin Langer, der die Salaam-Schalom Initiative gegründet hat, im Vorfeld der Bundestagswahlen eine Tour durch ganz Deutschland. „Wir wollen, dass sich die Menschen möglichst vorurteilsfrei begegnen. Durch gemeinsame Aktivitäten wollen wir potentielle Vorurteile abbauen und somit dafür sorgen, dass bewusster gewählt wird.“

Wenn Shai über die Dinge spricht, die er liebt und tut, schwingt immer auch etwas Angst mit. Angst davor, dass irgendwann einmal keine Zeit mehr für all das bleibt. „Ja, ich habe große Angst vor dem Tod. Weil ich das, was ich mache, so sehr liebe.“ Manchmal fällt es ihm schwer die Gedanken an die eigene Vergänglichkeit zu Ende zu denken, doch dann konfrontiert er sich bewusst damit und stellt sich seinen Ängsten. Er tauscht sich beispielsweise mit Start-Ups aus, die im Bereich Bioprinting tätig sind. Die also an der Produktion von menschlichem Gewebe und Organen mittels 3D-Drucker arbeiten. Auch wenn die Forschung noch am Beginn steht, ist Shai von den Möglichkeiten begeistert. „Mir persönlich wird die Technologie nicht mehr rechtzeitig helfen können, aber sie wird in Zukunft noch viele Menschen retten. Deswegen interessiere ich mich für das Thema. Die Welt endet ja nicht mit mir.“

In diesem Gedanken wünscht sich Shai auch, dass der Fortbestand der Familie Hoffmann nicht mit ihm endet. „Ich bin mittlerweile 35 Jahre alt und möchte irgendwann gerne Kinder haben.“ Schon jetzt ist er ein totaler Familienmensch, der viel Zeit mit seinem Vater verbringt. Dabei wird auch viel über vergangene Zeiten gesprochen – die israelische Heimat der Eltern oder die 2013 verstorbene Mutter. „Ich erinnere mich gerne an schöne Dinge zurück, allerdings darf man dabei nicht die Zukunft vergessen, die wir heute gestalten sollten. Man muss die Zeit nutzen, die man hat. Niemand weiß, wie viel Zeit noch bleibt, um glücklich zu sein. Dabei ist es doch das, worum es im Leben geht: glücklich sein.“

Text: Harald Triebnig // Friendship.is
Foto: Ian Ehm // Friendship.is

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