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Alois Flatz
Was zählt?

Vom Schwarzenberger Bergbauernbuben zu einem weltweit anerkannten Experten für nachhaltige Investments – so lässt sich der Werdegang von Alois Flatz in einem Satz beschreiben. Er war beteiligt an der Gründung des Dow Jones Sustainability Index, des ersten und heute weltweit führenden Aktienindex, der neben ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigt. Heute berät er den ehemaligen amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore und dessen Unternehmen Generation Investment Management, einen der größten globalen Investoren im Bereich Nachhaltigkeit. Zudem ist er an verschiedenen Start-ups beteiligt. Im Interview spricht er über eine einst verhasste Lederschultasche, die Wandlung des Karrierebegriffs und darüber, welche Kompetenzen in Zukunft gefragt sein werden.

Als du Mitte der Neunzigerjahre mit dem Doktorat in St. Gallen begonnen hast, war „Nachhaltigkeit“ eigentlich noch kein Begriff. Wie bist du damit in Kontakt gekommen?

Ich habe zuvor BWL studiert und gemerkt: Zu überlegen, wie ich etwas billiger produzieren kann, wie ich Rechnungen verbuche oder möglichst viele Autoreifen verkaufe – das gibt mir nichts. Als Bergbauernbub war ich es gewohnt, in Kreisläufen zu denken. Zudem sind in den Siebziger- und Achtzigerjahren die ersten ökologischen Bewegungen entstanden, Kaspanaze Simma ist als erster Grüner Europas in ein Parlament eingezogen, Zwentendorf und Hainburg wurden abgelehnt und so weiter – das war für mich der Beginn einer Sinnsuche, die mich letztendlich an das Institut für Wirtschaft und Ökologie nach St. Gallen geführt hat.

Dabei wolltest du ursprünglich gar nicht studieren.

Ich habe Ende August Geburtstag und immer Schulsachen geschenkt bekommen. In der vierten Hauptschulklasse habe ich eine Lederschultasche bekommen – und Rotz und Wasser geheult. Für mich war klar: Ich mache meine neun Schuljahre, und dann nie mehr Schule, hauptsächlich wegen einem Lehrer, mit dem ich überhaupt nicht zurechtgekommen bin. Das darf man jetzt nicht falsch verstehen, die meisten Lehrer machen einen Top-Top-Job, aber es gibt halt auch andere. Erst in der HAK hat mich die Schule zu interessieren begonnen. Rückblickend habe ich eines gelernt: Du wirst immer wieder mit Menschen zu tun haben, die du dir nicht aussuchen kannst – akzeptiere sie, lerne daraus, weiter geht’s! Die Lederschultasche hat mich letztendlich an die WU Wien und die HEC Paris begleitet, und 1995 habe ich darin meine Dissertation nach St. Gallen getragen.

Nach deiner Promotion warst du beim Umweltministerium und bist dann zu einem Start-up nach Zürich, das sich mit Investments im Bereich Nachhaltigkeit beschäftigt. Damals eine unkonventionelle Entscheidung.

Die besten Leute von der Uni sind ins Investmentbanking oder zu McKinsey gegangen – und ich zu einem „grünen“ Start-up. Der Vater eines guten Freundes war CEO einer österreichischen Großbank und hat mir geraten: „Alois, du hast eine super Ausbildung mit Abschlüssen an Top-Universitäten und einem Doktorat – und jetzt gehst du zu irgendwelchen alternativen, grünen Investmentmanagern? Das kann doch nicht sein, du willst doch auch mal eine Familie gründen. Mach was aus deinem Leben.“ Das war 1996! Man kannte damals keine Start-ups. Und dann noch alternativ und nachhaltig …

Eigentlich bin ich nur meinen Interessen gefolgt. Im Endeffekt weiß man ja nicht, was dabei herauskommt.

Was hat dich angetrieben?

Eigentlich bin ich nur meinen Interessen gefolgt. Im Endeffekt weiß man ja nicht, was dabei herauskommt. Man muss einfach schauen, wie man seine Talente einsetzen und weiterentwickeln kann. Und irgendwann bin ich – mit etwas Glück und einem Ziegenkäse von meiner heutigen Frau in der Tasche – bei einem der CEOs von Dow Jones in New York gestanden und konnte ihn überzeugen, dass es einen Aktienindex braucht, der auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigt. Den Ziegenkäse hat er übrigens im Ganzen verschlungen.

Hast du das Gefühl, dass sich der Karrierebegriff gewandelt hat? Wonach streben junge Menschen heute?

Die heutigen Uni-Absolventen machen sich immer öfter selbständig und gehen ihren Träumen nach. Ich finde das absolut super, man hat eine ganz andere Vorstellung vom „Karriere machen“. Selbstverwirklichung klingt immer so deppert, aber wenn jemand einem Traum folgt, arbeitet sie oder er ganz anders. Damit das möglich ist, braucht es verschiedene Dinge: Es braucht Leute, die sich etwas trauen, es braucht eine gute Ausbildung, es braucht das richtige Umfeld dafür – also ein Ökosystem –, und es braucht eine positive kulturelle Einstellung, die es erlaubt, dass auch einmal etwas schiefgehen darf – auch im Beruf. Als Kind hindert dich ja auch keiner daran, dass du zu laufen beginnst, auch wenn es dich am Anfang ein paarmal aufhaut.

Heute berätst du unter anderem Generation Investment Management, die Firma von Ex-US-Vizepräsident Al Gore, die zu den größten globalen Investoren im nachhaltigen Bereich zählt. Was steht bei so einem Unternehmen im Vordergrund: nachhaltige Entwicklungen oder wirtschaftlicher Erfolg?

Das Ziel von Generation ist es, mit einem langfristigen und nachhaltigen Ansatz eine bessere Wirtschafts- und Finanzleistung zu erwirtschaften. Wenn du konsequent langfristig denkst, dann kommst du irgendwann drauf, dass es kein „entweder – oder“, sondern ein „und“ ist. Du erkennst, dass du – um langfristig wirtschaftlichen Erfolg zu haben – auch sozial-ökonomische Dinge berücksichtigen musst. Im Endeffekt geht es immer um die Frage: Kann eine Entwicklung so weitergehen? Und dann ist es ganz klar, dass man beispielsweise im Hinblick auf den Klimawandel etwas tun muss. Daraus ergeben sich auch neue Chancen und Geschäftsfelder, z. B. effizientere und elektrische Antriebssysteme in der Mobilität oder Datenbanksysteme, die weniger Speicherplatz benötigen und trotzdem schneller sind und dadurch etwa 20-mal so energieeffizient. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, der sieht: Firmen, die nicht nur in Quartalen denken, liefern meistens stabile und gute Performances.

Im Endeffekt geht es immer um die Frage: Kann eine Entwicklung so weitergehen?

Du berätst auch Start-ups und beschäftigst dich mit neuen Technologien. Welche Qualitäten werden in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Robotern noch gefragt sein?

In New York hat mir ein Arbeitskollege ganz stolz erzählt, dass im Kindergarten seines Sohnes an zwei Tagen nur Chinesisch gesprochen wird. Muss ein Vierjähriger Chinesisch können? Und mit fünf sollte er dann Programmieren können, zwei Instrumente spielen und noch in zwei Clubs mit Begeisterung Sport machen? So ein Kind muss nur tun, tun, tun …! Themen wie soziale Kompetenz und ein gesunder Glaube an sich selbst spielen da kaum eine Rolle. Wenn wir mehr Roboter und Maschinen mit künstlicher Intelligenz haben, die uns viele Dinge abnehmen, wodurch unterscheiden wir uns dann: durch soziale Kompetenz. Das wird meiner Meinung nach noch viel wichtiger werden.

Text: Matthias Köb // Friendship.is
Fotos: Lukas Hämmerle // Friendship.is

Info: Das Interview ist im Rahmen unserer Kooperation mit dem Magazin „B’sundrig“ von Sutterlüty entstanden. Der Artikel erschien erstmalig in der „B’sundrig“-Ausgabe Februar 2018.

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