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Bernadette Rüscher
Was können wir von Felder lernen?

Seit zehn Jahren arbeitet Bernadette Rüscher im Angelika Kauffmann Museum in Schwarzenberg. Sie ist Spezialistin für Kunst und Geschichte des Bregenzerwaldes und gibt bei geführten Rundgängen tiefe Einblicke in das Zusammenspiel von Mensch und Natur in der Region. Teile ihrer Kindheit hat sie auf einer Alpe ohne Strom und fließendes Wasser verbracht – ein Grund mehr, warum sie sich dem Bregenzerwälder Bauern, Sozialreformer und Schriftsteller Franz Michael Felder (1839–1869) nahe fühlt.

Beim FAQ haben Sie Menschen durch Schwarzenberg geführt auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „War früher sogar die Zukunft besser“? Welche Antwort haben Sie gefunden?

Früher war alles einfacher, überschaubarer. Zur Zeit Felders beispielsweise waren die Dorfereignisse das Gesprächsthema. Lesen für das gemeine Volk war verpönt, die Geistlichkeit bestimmte, was für das Volk gut sei. In dieses „Es ist so, wie es ist“ platzt der belesene Felder. Er lehnt sich gegen diese starren und verknöcherten Formen auf und beginnt, erst seine Freunde und dann auch seine weitere Umgebung aufzuklären. Felders Fähigkeiten, sich den Dingen zu stellen, seine Kräfte für seine Mitmenschen einzusetzen und mehr Gleichheit für die Bauern zu erzielen, kann man nicht hoch genug einschätzen. Trotz seines jungen Alters und seiner Sehbehinderung hat er unglaublichen Einsatz gezeigt.

Umso erstaunlicher, dass er mit diesem Handicap so viel lesen und später auch schreiben konnte ...

Dieses Handicap hat ihn sicher auch zu einem ungewöhnlichen Menschen gemacht. Wie er selbst schreibt, habe er mehr gefühlt und gedacht als gesehen. Beim Schreiben hat ihm seine Ehefrau Nanni, die als beste Schülerin von Au galt, die Schriften in Schönschrift übersetzt. Sie war sehr belesen und schrieb Gedichte. „Sie war mir Hand und Auge, alles in allem ein großes, herrliches Weib“, schrieb Felder. Ihren frühen Tod hat Felder nicht verkraftet.

Was können wir heute von Felder lernen?

Ich bewundere sehr seine Fähigkeit zur Selbstreflexion. In seiner Jugend war er hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach Bildung einerseits und andererseits dem Anspruch, ein guter, „ghöriger“ Bauer zu sein. Dieser Riss, wie er es nannte, beschäftigte ihn stark. Sein Mut ist heute noch erstaunlich. Er setzte sich für die Bauern ein und wurde sogar in den Gemeinderat von Schoppernau gewählt. Mit seiner Partei gewann er mit einer Zweidrittel-Mehrheit gegen die Pfarrerpartei. Für mich im 19. Jahrhundert ganz erstaunlich, wenn man bedenkt, wie einflussreich die Kirche war.

Das Wiener Magazin The Gap formulierte einmal: „Sein soziales Engagement wurzelt im Regionalen des 19. Jahrhunderts und gibt Handlungsanweisungen für die Globalisierung 150 Jahre später.“

Das sehe ich auch so. Wie Felder sich als junger Bursche dem Käsegrafen und Milchmonopolisten Gallus Moosbrugger, also der Obrigkeit, mutig entgegenstellte, beeindruckt mich! Er ließ sich so tief auf solche Auseinandersetzungen ein, dass er seines Lebens nicht mehr sicher war und aus dem Bregenzerwald fliehen musste. Übrigens war neben seinem politischen Engagement auch die Beziehung zu seiner Frau sehr ungewöhnlich. Um ihn herum gab es viele arrangierte Ehen, in denen Liebe und Unterstützung keine zentralen Faktoren waren. Er hingegen schöpfte daraus seine ganze Lebenskraft, was auch in seinen Briefen deutlich wird. Und aus der großen Hilfe, die ihm seine Frau war, machte er nie ein Geheimnis. Das war zu seiner Zeit ein beeindruckendes Eingeständnis.

Wie würde er sich heutzutage zurechtfinden?

Franz Michael Felder würde mit seiner Geradlinigkeit und Ehrlichkeit immer noch oft anecken. Ich bin mir nicht sicher, ob die heutige Zeit schon reif wäre für so einen Freigeist wie ihn.

Franz Michael Felder würde mit seiner Geradlinigkeit und Ehrlichkeit immer noch oft anecken.

Was hat ihn so besonders gemacht?

Ein Bauer, der solche Bücher schreibt: So etwas hatte die Gesellschaft noch nicht erlebt. Es gab wohl Theologen oder Lehrer, die Bücher schrieben – aber niemanden, der als Bauer mit „blutsaurer“ Arbeit seinen Lebensunterhalt verdiente und aus dieser Perspektive auch noch so gehaltvolle Bücher schrieb.

Sie kennen sich mit der Geschichte des Bregenzerwaldes sehr gut aus. Was macht diese Region Ihrer Meinung nach aus, erkennen Sie eine Art roten Faden?

Im Bregenzerwald hat die Zusammenarbeit immer eine wichtige Rolle gespielt und war oft auch überlebenswichtig. Durch die eigene Gerichtsbarkeit und die geographische Lage war sicher die Gemeinschaftsidentifikation stark gegeben. Diese Eigenschaften sind heute noch deutlich spürbar, sei es durch die Käsestraße oder den Zusammenschluss der Handwerker im Werkraum. Geschichtlich gesehen kam in den Bregenzerwald durch die saisonale Auswanderung, z. B. durch die Barockbaumeister oder durch die Schwabenkinder, auch viel Moderne in die Talschaft. Die Tradition einerseits und die Moderne andererseits machen den Bregenzerwald wohl auch heute zu dem, was er ist. Tradition und Moderne, ich finde, das eine kann nicht ohne das andere sein.

Text: Thorsten Bayer // Friendship.is
Fotos: Jana Sabo // Friendship.is
Ian Ehm // Friendship.is

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