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Franziska Seyboldt
Was ist gut an der Angst?

Jahrelang quälten sie Angstzustände und Panikattacken. Bis der Moment kam, an dem sie sie konfrontierte und dabei sehr viel mehr über die Welt und sich selber lernte, als sie jemals zu hoffen gewagt hätte. Über diesen Weg hat die in Berlin lebende Journalistin Franziska Seyboldt ein bewegendes und durchaus nicht unlustiges Buch geschrieben: „Rattatatam, mein Herz“.

In deinem Buch geht es um deine Angststörung und wie du gelernt hast, mit ihr umzugehen. Ein wichtiger Schritt war das Outing. Was hat sich danach geändert?

Irgendwann war für mich klar, dass ich dieses Herzensthema, das mich schon so lange begleitet, beruflich beackern muss. Aber davor habe ich mir das alles sehr gut überlegt und ich war mir lange nicht sicher, ob ich mit negativen Reaktionen wie ‚Stell dich nicht so an.’, ‚Gibt’s keine wichtigeren Probleme?’ oder ‚In Afrika sterben Kinder!’ umgehen könnte. Verrückterweise ist nichts davon passiert und die Reaktionen waren durchwegs positiv. Gefühlt ist dieses Outen ja erstmal so, als würde man eine Schwäche zugeben, aber wenn man das dann durchzieht, ist es das Gegenteil, weil man eine Schwäche in eine Stärke umwandelt und dadurch auch fast ein bisschen unangreifbar wird: Jetzt wissen es ja alle und mir kann keiner mehr blöd kommen.

Die Soziologin Brené Brown hat in ihrem TED-Talk „The Power of Vulnerability“ gesagt: „Hold your shadow in front of you. It can only take you down from behind." – im Sinne von: Wer seine dunklen oder ungewollten Seiten sieht und annimmt, kann von ihnen nicht mehr überfallen werden.

Das sehe ich genauso. Ich habe jahrelang versucht, vor der Angst wegzulaufen oder sie zu bekämpfen. Dadurch wurde sie immer nur größer. Erst, als ich gedacht habe, ok, du bist da, ich stelle mich dir, dann war’s auf einmal nicht mehr so schlimm. Und seit dem Öffentlichmachen hat es sich nochmal extrem gebessert, obwohl ich das nicht als Therapieschritt gemacht habe, aber es hatte letzten Endes diesen Effekt.

Ich habe jahrelang versucht, vor der Angst wegzulaufen oder sie zu bekämpfen. Dadurch wurde sie immer nur größer.

Was wolltest du mit dem Buch erreichen?  

Drei Sachen: Erstmals ebenfalls Betroffene erreichen und denen sagen: ‚Leute, ihr seid nicht alleine.’ Dann grundsätzlich was gegen die Stigmatisierung tun, was ich nur tun konnte indem ich sage: ‚Hallo, ich auch!’ Und drittens die Leute, die sich nicht auskennen, aufklären, indem ich sage: ‚Hey, das gibt’s und jeder Sechste ist betroffen, d.h. wenn ihr glaubt, dass ihr keine Betroffenen in Freundeskreis oder Familie habt – ihr kennt jemanden, auch wenn ihr es nicht wisst.’ Ich machte das nicht, damit es mir besser geht – aber das ist passiert und ein sehr schöner Nebeneffekt.

Du lebst in Berlin. Wie wird in der Großstadt mit dem Thema Ängste – oder psychische Probleme im Allgemeinen – umgegangen? Gehört es mittlerweile zum guten Ton, in Therapie zu gehen? Oder ist es trotz allem noch ein Tabu?

In Großstädten ist es sicher normaler, aber es kommt auch darauf an, in welcher Blase man sich so aufhält. Ich habe viele Leute in meinem Umfeld, die auch etwas Künstlerisches machen, da ist das total easy. Aber in Berlin gibt es auch Randbezirke, die fast schon dörflich funktionieren, da ist es wieder komplett anders. Ich hatte auch mal eine Lesung am Land, und da waren ganz wenige Leute. Ein Therapeut war allerdings dort, und der meinte, es wären gern mehrere seiner Patienten gekommen, aber sie hätten sich nicht getraut, weil ja auch andere dort waren, die sich dann denken würden: ‚Ach, die ist auch betroffen!’ Und da bin ich dann aus meinem Berlin-Ding rausgefallen und dachte: Von wegen, das ist alles gar kein Problem mehr! Das stimmt einfach nicht.

Im Buch hast du deine Angst personifiziert.

Ja, als stilistisches Mittel, weil ich nicht genau wusste, wie ich dieses Gefühl sonst anschaulich beschreiben soll. Irgendwann habe ich ein Madonna-Video geguckt und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Madonna sieht aus wie meine Angst, und zwar wegen der Mimik. Die kann so superzickig wirken, mit hochgezogener Augenbraue, und man denkt sich ‚Jetzt macht die gleich ‘nen fiesen Spruch’ im Sinne von ‚Hey, ich bin voll cool, was ist los, warum kriegst du das nicht hin, mach mal!’ Sich die Angst als Person vorzustellen, hat sie auch verkleinert, weil sie dadurch greifbarer wurde. Sie wird dann fast zu einem imaginären Freund, weil sie will ja eigentlich nur mein Bestes und mich beschützen. Aber anstatt anzurufen und zu sagen: ‚Hey, jetzt leg dich mal hin und ruh dich aus’, kommt sie fies um die Ecke und haut dir eine Panikattacke über den Kopf.

Es heißt ja, dass jede Schwierigkeit im Leben oder jedes auf den ersten Blick negative Erlebnis auch eine Art Lektion in sich trägt, einen Edelstein im Misthaufen sozusagen. Ist das bei deiner Angststörung auch so?

Durchaus. Ich glaube, das Positive ist, dass ich dadurch akzeptiert habe, dass ich nicht über alles die Kontrolle habe. Das nimmt Last ab. Und anstatt in Panik zu verfallen guckt man eher, dass man ruhig wird.

Das Positive ist, dass ich dadurch akzeptiert habe, dass ich nicht über alles die Kontrolle habe. Das nimmt Last ab.

Würdest du sagen: Du bist drüber hinweg?

Die ganze Geschichte hat mich auf jeden Fall verändert, aber ich würde nicht sagen, dass die Angst weg ist, sondern dass ich sie, wenn ich gut auf mich achte, im Griff habe. Das bedeutet, dass ich mehr Zeit brauche, um aufzutanken. Ich kann krass powern, aber dann brauche ich relativ lange um den Akku wieder aufzuladen. Ich brauche mehr Ruhephasen, gehe fast nicht mehr feiern und habe jetzt auch einen Hund, mit dem ich ganz viel draußen in der Natur bin. Der Hund ist auch ganz toll für dieses Im-Jetzt-Sein, denn er ist da, und du musst dich ihm widmen. Da bleibt nicht viel Zeit für unnötige Gedankenschleifen.

Was würdest du jemandem raten, der Ähnliches durchmacht?

Jeder tickt zwar anders, aber was ich auf jeden Fall raten würde, ist zum Therapeuten, zur Therapeutin zu gehen. Ansonsten hat jeder seinen eigenen Weg und es gibt einen bestimmten Zeitpunkt, an dem man Sachen begreift. Bei mir war das ein bestimmtes Buch, das ich gelesen habe, „Jetzt – die Kraft der Gegenwart“ von Eckhart Tolle. Obwohl mein bester Freund mir schon vor sieben Jahren gesagt hat, ich solle es lesen, habe ich das erst viel später getan und das war schon gut so, weil ich dann erst vieles verstehen konnte. Und das hat sehr viel für mich verändert.

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Jana Sabo // Friendship.is

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