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Jan Augsberg
Jan Augsberg will’s wissen

2015 war es, als der deutsche Architekt Jan Augsberg beschloss, nicht mehr jeden Tag ins Büro zu gehen, um gefühlt immer das Gleiche zu tun. Er wollte mehr vom Leben und vor allem eines: Musik machen. Der 33-Jährige kündigt seinen Job und startet das Projekt „100/100/365“. Sein Ziel: In einem Jahr 100 Konzerte an 100 verschiedenen Orten spielen. So tritt er nun mit seinem E-Piano in Wohnzimmer und Konzertsälen auf der ganzen Welt auf. Dass er für eine Leidenschaft einen sicheren Job und seine Wohnung aufgegeben hat, empfindet seine Mutter als Schnapsidee. Er selbst findet dabei aber immer mehr das Glück.

Jan, du hast Ende 2015 einen guten und sicheren Job gekündigt, um ein Jahr lang nur Musik zu machen. Was hat dich auf diese Idee gebracht?

An einem einzelnen entscheidenden Erlebnis kann ich es nicht festmachen, aber ein maßgeblicher Impuls war, dass ich diese Tröge und diesen Rhythmus von „Jeden-Tag-das-Gleiche“ im Büro nicht mehr ertragen konnte. Die Perspektive, meine Lebenszeit quasi Jahr für Jahr abzusitzen, gefiel mir nicht. Die Idee dazu hatte ich schon länger im Kopf, aber ich wollte unbedingt zumindest zwei Jahre arbeiten, denn diese Zeit braucht man in Deutschland, um vom Diplomingenieur zum Architekten zu werden. Da ich noch dazu ledig bin und keine Kinder habe, war das der richtige Zeitpunkt für mich. Und ich werde ja auch nicht mehr jünger (lacht).

Hast du dich zum ersten Mal in so eine Unsicherheit begeben?

Ja, total. Ab und zu liege ich im Bett und frage mich: „Was hast du dir dabei gedacht?“. Gleichzeitig denke ich mir: „Ok, ich kann das schaffen!“ Es ist ein stetes Auf und Ab. Diese Unsicherheit gepaart mit Glücksmomenten ist schon ganz schön verrückt.

Hast du dadurch auch mehr Vertrauen in dich selbst?

Ja. Und auch in andere. Es hat noch niemand – außer meine Mutter vielleicht – zu mir gesagt, dass das kompletter Unfug ist. Das Projekt weckt vor allem in älteren Menschen diese Sehnsucht nach: „Ach, hätten wir das auch gemacht“. Es spricht irgendwie die Wünsche der Menschen an und das ist schön.

Das klingt, als wäre dein Mutter nicht so begeistert gewesen.

Sie versteht bis heute nicht ganz, was ich da mache und warum. Man muss dazu sagen, dass sie Asiatin ist und sowieso anders denkt. Für sie ist ein Job mit gesichertem Einkommen wichtig. Sie war immer der strenge Teil in der Familie. Es war eine große Aufgabe für mich, ihr zu erzählen, dass ich dieses Jahr keine Architektur mehr machen werde, weil ich Musik machen will. Und dass ich damit wahrscheinlich kein Geld verdienen werde, es aber trotzdem wichtig für mich ist.

War dieser Lebensstilwechsel für dich auch ein Ausbruch bzw. ein rebellischer Akt?

Ein Ausbruch ist für mich etwas Spontanes. Was ich gemacht habe, war nicht ganz so spontan, weil ich es schon länger geplant hatte. Vielleicht war es ein verlangsamter und hingezogener Ausbruch. Ich habe einfach gemerkt, dass mein bisheriges Leben mit Schule, Universität und Arbeit von der Gesellschaft vorgegeben war. Das ist ja auch in Ordnung und ich würde gar nicht sagen, dass ich vorher unglücklich war. Trotzdem suche ich, glaube ich, gerade nach etwas, das mich erfüllt und bei dem ich vielleicht mehr Glück oder Zufriedenheit empfinden kann.

Was ist Glück für dich?

Glück ist ein Moment. Diese Selbstbestimmtheit die ich gerade erlebe, macht mich zum Beispiel glücklich. Ich muss nicht 9-to-irgendwas im Büro sitzen und warten bis der Chef nach Hause geht, damit ich auch endlich nach Hause gehen kann. Ich kann tun und lassen, was ich will, wann ich will und wo ich will. Natürlich muss man trotzdem eine Art Routine entwickeln, damit man ein Projekt wie dieses nicht einfach schleifen lässt.

Bist du einer der eher plant oder der sich spontan auf Dinge einlässt?

Lustig, dass du das ansprichst. Bei der Diskussionsrunde hier am FAQ war auch der Psychologe Claus Lamm dabei. Der hat zu meinem Konzept nur gemeint: „Das ist ja interessant. Sie machen einen krassen Lebenswandel, haben das aber irgendwie geplant, weil diese 100 Konzerte sind ja in gewisser Weise eine Struktur.“ Und ja, ich glaube, dass ich mich mit Planung besser orientieren kann.

Weil Planung auch Sicherheit gibt?

Ja, schon. Obwohl dieses Projekt ja trotzdem total unsicher ist. Es beruht auf Spontanität. Gestern wusste ich noch nicht, dass ich morgen nach Innsbruck fahren werden. Morgen weiß ich nicht, wo ich übermorgen bin. Ich habe von meiner Mutter einen kleinen Polo, in den passt ein kleines Klavier rein und so reise ich mit Ruben, meinen Booker, von A nach B. Es gibt ein Gerüst, aber alles andere beruht auf Spontanität. Dieses Gefühl von Freiheit ist einfach Wahnsinn.

Das Thema der angesprochenen Diskussionsrunde war: „Müssen wir arbeiten – oder wollen wir?“ Was denkst du?

Ich denke, wir müssen arbeiten. Wenn ich nichts zu tun habe, bin ich nur glücklich, wenn ich weiß, dass ich bald wieder was zu tun habe.

Also ist eine Mischung der ideale Zustand?

Genau. Arbeit kann extrem erfüllend sein und glücklich machen. Sie kann aber auch genau das Gegenteil auslösen. Ich bin im Moment gerade in der Position, tun und machen zu dürfen, was ich will. Und das ist absolutes Glück.

Ich glaube auch, dass ein Gefühl der Selbstbestimmtheit in der Arbeit glücklich macht und dass jemand, der seinen Job mit gestalten kann sicher glücklicher ist als jemand der streng weisungsgebunden ist und kein Gestaltungsrecht hat.

Ja. Das beginnt schon beim Thema Verantwortung. Wenn dir eine gewisse Form von Verantwortung übertragen wird, kann das ein Ansporn sein. Und das kann auch zu Glück führen.

Also, bist du glücklich...?

Die Frequenz von Glücksmomenten ist viel höher als vorher. Das mag daran liegen, dass man so viele verschiedene Sachen erlebt – und vielleicht auch daran, dass es viel mit Musik zu tun hat.

Was hat das Projekt bis jetzt mit dir gemacht? Würdest du sagen, es hat dich verändert?

Mein Empfinden für Zeit und Raum ist anders. Es verschwimmen die Zeitintervalle, weil die Frequenz von dem was man erlebt so hoch ist. Manche Konzerte kommen mir vor als wären sie vor einem Monat gewesen dabei fanden sie erst letzte Woche statt. Zudem hab ich das Gefühl, dass ich ein bisschen gelassener geworden bin. Wie gesagt, plane ich grundsätzlich sehr gerne. Dennoch läuft vieles bei dem Projekt überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Beispielsweise habe ich mir zu Beginn 100 Städte aufgeschrieben, in die ich wollte. Von diesen war ich bis jetzt in 20, dafür sind 30 andere dazu gekommen. Über so etwas hätte ich mich letztes Jahr vielleicht noch aufgeregt, jetzt denk ich mir: „Es wird schon alles hinhauen.“

Wirst du nach dem Projekt bzw. nach diesem Jahr, wieder als Architekt arbeiten?

Ich musste meiner Mutter versprechen, dass das Projekt nur ein Jahr dauern wird. Ich weiß aber noch nicht, ob ich nach dem Jahr wieder mit Architektur anfangen werde. Vermutlich nicht. Das habe ich ihr aber noch nicht erzählt. (lacht)

www.janaugsberg.com

Text: Sophia Roma Weyringer // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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