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Philipp Lingg
Ist ein Hit genug?

Vorsätze findet er blöd und Alben nicht mehr wirklich zeitgemäß. Und dass sich kaum jemand noch Zeit nimmt, um wirklich bewusst Musik zu hören, das findet er ein bisschen schade. Jammern will Ex-HMBCSänger Philipp Lingg aber keineswegs, dafür macht ihm das Musikmachen viel zu viel Spaß. Im Interview spricht er über Algorithmen, seine Rolle als Entertainer und warum er einen Hit nicht planen könnte, selbst wenn er wollte.

Philipp, wir sitzen hier Anfang Jänner 2019. Hast du zum Jahreswechsel Vorsätze gefasst?

Ein bewusstes Erleben des Alltags und der damit verbundenen Freuden. Und diese mit der Umgebung zu teilen. Keine Ahnung, halt einfach eine schöne Zeit haben. Aber so richtige Vorsätze, dass ich jetzt abnehmen will der so, davon halt ich nicht viel.

Und beruflich? Was erwartest bzw. erhoffst du dir für die Zukunft?

Weltruhm! Nein, im Ernst, einfach viel gute Musik, schöne Erlebnisse, spannende Begegnungen und geile Auftritte.

Wer setzt sich heute noch hin und hört sich einfach mal eine Stunde lang eine Platte an?

Viele Menschen hören mittlerweile über Streaming-Dienste wie Apple Music oder Spotify Musik hören. Wie sehr hat sich die Art, wie wir Musik konsumieren, dadurch verändert?

Als Konsument muss ich mir nicht mehr die „Arbeit“ antun, dass ich mich informiere, was es Neues gibt, was mir gefallen könnte etc. Das wird mir alles vom Algorithmus vorgeschlagen, weil es zu meinen sonstigen Vorlieben passt. Vielleicht zahlen große Plattenfirmen auch Geld, damit ihre Künstler vorgeschlagen werden, keine Ahnung. In Wahrheit wissen wir alle recht wenig darüber. Ich finde es durchaus spannend, dass man so einfach neue Musik entdecken kann, das hat schon eine Berechtigung. Aber es hat natürlich die Art, wie wir Musik hören, sehr verändert. Ein Lied muss mich sofort ansprechen, sonst zappe ich weiter, ich hab ja 30 Millionen Tracks zur Auswahl. Wer setzt sich heute noch hin und hört sich einfach mal eine Stunde lang eine Platte an und schaut, was das mit einem macht? Ich geh noch immer gerne in den Plattenladen, such mir ein paar Sachen raus, geh dann zum Plattenspieler und höre mir die Musik an. Ich mag solche nostalgischen Momente.

Ist dein Beruf durch die große Auswahl und den damit verbundenen „Kampf um Aufmerksamkeit“ schwerer geworden?

Nein, denn in erster Linie muss es mir selbst gefallen. Das andere kann ich ohnehin nicht kontrollieren. Ich weiß ja nicht, was die Menschen gerade anspricht, was sie interessiert und womit ich sie triggern kann.

Aber als Berufsmusiker bist du darauf angewiesen, dass es nicht nur dir selbst gefällt.

Schon, aber ich kann es nicht steuern. Natürlich könnte ich versuchen, möglichst viele Interviews zu geben, und eine Platte ankündigen und große Social-Media-Kanäle anschreiben – da wären wir dann wieder beim Marketing –, aber auch dann hab ich keine Garantie. Dass „Vo Mello bis ge Schoppernou“ zum Hit wurde, das fasziniert mich noch heute, das kann man nicht planen. Und ich bin keiner, der sich hinsetzt und sagt: Ich muss unbedingt nochmal einen Hit schreiben.

Die Chancen würden möglicherweise steigen, wenn du Musik machen würdest, die dem sogenannten Mainstream gefällt?

Nehmen wir das Beispiel Schlagermusik. Die wird meist ganz gezielt für eine bestimmte Zielgruppe gemacht. Und trotzdem gibt es viele Schlagermusiker, die kein Mensch kennt – obwohl sie auf Leben und Tod versuchen, den ultimativen Schlager-Hit zu landen. Man sollte sich beim Musikmachen nicht fragen: Was kann ich verkaufen? Ich glaube, es ist wichtig, dass man hinter dem steht, was man tut, und seine eigene Botschaft vermittelt. Es geht um das Gefühl, das man dabei hat.

Man sollte sich beim Musikmachen nicht fragen: Was kann ich verkaufen?

Stichwort Gefühl: Als Musiker ist man ja auch Entertainer – muss man sich auf der Bühne manchmal verstellen, also eine Rolle einnehmen?

Es stimmt schon, mein Job ist es, die Menschen zu unterhalten. Aber ich denke nicht, dass es bei einem Konzert darum geht, dass alles „happy peppy“ ist. Es gibt ja auch Lieder, die man geschrieben hat, als es einem nicht so gut ging. Und es gibt genügend Musiker, die die ärgste „Runterzieher-Musik“ machen, und trotzdem denkt man sich: Geil! Ich hab mir das bei einem Nick Cave-Konzert gedacht, das war so warm, so viel Energie, mir hat’s sprichwörtlich die Schuhe ausgezogen. Ich denke, das Schlimmste ist es, wenn du den Menschen etwas vormachst. Wie es mir geht und was mich beschäftigt, das darf das Publikum auch mitkriegen.

Du bist mittlerweile schon eine Zeitlang im Geschäft. Gibt es etwas, was du jungen Musikern für ihre Zukunft raten würdest?

Viel spielen, einfach viel spielen. Und nicht gleich dem Geld hinterherrennen. Wenn die Maschinerie ins Rollen kommt, lernst du auch Menschen kennen, die es nicht so gut mit dir meinen. Oder Veranstalter, bei denen du aufgrund deiner eigenen Blauäugigkeit hinterher merkst: Der hat mich über den Tisch gezogen. Das sind alles Erfahrungen, die man macht. Was würde ich also raten? Viel üben und die richtigen Leute um sich scharen. Und man sollte wissen: Musiker sein heißt nicht nur, auf der Bühne zu stehen. Gerade heute sind auch andere Kanäle sehr wichtig geworden. Ich habe jetzt auch Musik für die Werbung gemacht oder Lieder geschrieben für andere Gruppen. Oft ist man auch noch sein eigener Chauffeur, Buchhalter und vielleicht auch noch Booker. Das gehört alles dazu. Du bist nicht nur der, der zwei Mal 45 Minuten auf der Bühne steht. Da steckt viel mehr dahinter.

Text: Matthias Köb // Friendship.is
Fotos: Lukas Hämmerle // Friendship.is

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