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Claus Lamm
„Hofer hat sich einen Hund gekauft, weil Van der Bellen einen hat“

Der Lustenauer Claus Lamm ist Leiter der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit der Universität Wien. Er untersucht, was im Gehirn von Menschen passiert, wenn man die Gefühle, Gedanken und Intentionen eines anderen Menschen nachempfinden will. Im Interview erklärt er, warum Emotionen im Wahlkampf besser funktionieren als Inhalte, wie unser Gehirn über Sympathie oder Antipathie entscheidet und warum manche Menschen in sozialen Netzwerken scheinbar alle Hemmungen verlieren.

Sympathie spielt bei den Wahlmotiven eine wichtige Rolle. Vor allem für Hofer-Wähler war es beim ersten „Stichwahl-Versuch“ ein starkes Motiv (27 Prozent). Wovon hängt es ab, ob wir einen Politiker sympathisch finden oder nicht?

Da gibt es viele Facetten. Ein wichtiger Teil ist die Erscheinung, die physische Attraktivität. Beispielsweise die nicht so schönen Zähne von Van der Bellen – das kann man nicht ausblenden. Auch wie jemand angezogen ist, spielt eine Rolle. Wenn man sich Viktor Orbán anschaut: Der wirkt wie ein gestandener Mann, dabei ist er eigentlich relativ klein. Orbán kompensiert jedoch sehr viel mit Maßanzügen. Hinzu kommt die nonverbale Kommunikation: Wie kommt der rüber? Sitzt er aufrecht und spricht mit kräftiger Stimme oder hängt er irgendwie da und nuschelt vor sich hin?

Hat Van der Bellen Schwächen in der nonverbalen Kommunikation?

Da wird es jetzt schon kompliziert: Bei einem Akademiker kommt diese ruhige Art vielleicht ganz gut an, ein anderer sieht es als Schwäche. Auch dass Van der Bellen manchmal sagt: „Das kann ich so nicht beantworten, das muss man differenzierter betrachten.“, spricht einen Akademiker vielleicht eher an. Ein anderer sagt dazu: „Was labert der da vor sich hin? Das ist ja keine Aussage.“ Kurz gesagt: Bei der physischen Attraktivität gibt es relativ klare Muster, alles andere kann man nicht generalisieren.

Tendieren wir dazu, Politiker sympathisch zu finden, die uns ähnlich sind?

Zumindest die wahrgenommene Ähnlichkeit spielt eine große Rolle. Aber auch da gibt es viele verschiedene Ebenen. Die große Herausforderung ist es, dass du einerseits als kompetent wahrgenommen wirst, andererseits als „einer von uns“. Gemeinsamkeiten sind da schon eine Art Eintrittskarte. Nimm unsere Begrüßung her: „Bist du auch Vorarlberger? – Ja! – Passt.“ Das bringt einen ganzen Rucksack an Emotionen, die dazu führen, dass man eine Person eher als sympathisch wahrnimmt. In manchen Fällen stimmt das dann auch, aber es gibt sicher genauso viele Idioten in Vorarlberg, wie es sonst wo Idioten gibt.

Was ist dir in diesem Zusammenhang im Wahlkampf aufgefallen?

Gerade Van der Bellen hat sehr stark auf seine Heimat, auf das Tirolerische, gesetzt. Beim ersten Wahlgang konnte er dort gut punkten, vielleicht will er das noch weiter ausbauen. Und Hofer hat einen Hund gekauft, weil Van der Bellen auch einen Hund hat – das unterstelle ich ihm jetzt einfach mal. Auch dass Hofer so auf Kuschelkurs macht, ist meiner Meinung nach ein Trick. Er ist vom Typ her sicher weniger angriffslustig als Strache, aber wenn man sich anschaut, an welchen Texten er mitgearbeitet hat, ist er im Denken um nichts weniger extrem als Strache oder Kickl. Aber er hat gemerkt, dass er mit einer freundlichen und lieben Art so ein bisschen die Verbindung zur Mitte sein kann. Also zu jenen, die vielleicht zur FPÖ tendieren, aber denen Strache zu aggressiv ist.

Welche Rolle spielen Emotionen in einem Wahlkampf?

Emotionen sind eine direkte Verbindung zum Handeln. Das steckt schon im Wort „emovere“, also „herausbewegen“. Wenn ich wütend bin, hau ich irgendwo drauf, wenn mich etwas anekelt, weiche ich zurück, wenn ich verliebt bin, will ich Zeit mit der Person verbringen. Je mehr du emotionalisierst, desto eher bewegst du Leute damit und bringst sie dazu, dementsprechend zu handeln.

Und negative Emotionen funktionieren besonders gut?

Das Spiel mit Ängsten ist eigentlich relativ simpel. Viel einfacher als mit positiven Botschaften. Im Grunde kennen wir das eh alle: Wenn man sich über etwas freut, dauert es vielleicht eine Stunde, dann flacht das Gefühl wieder ab. Wenn man eine Angst hat, die nicht aufgelöst wird, kann dieses Gefühl den ganzen Tag oder ein Leben lang anhalten.

Gerade im Zusammenhang mit der FPÖ ist immer wieder die Rede von einer „Politik der Angst“.

Ja, absolut. Aber es ist nicht nur die FPÖ. In gewissem Sinne spielt Van der Bellen auch mit der Angst, wenn er beispielsweise vor der „blauen Republik“ warnt. Er verhält sich da aber eh sehr redlich. Die Chance, dass der nächste Bundeskanzler aus der FPÖ kommt, stehen nicht so schlecht. Dann ist das politische Establishment in Österreich tiefblau eingefärbt. Vor diesem Hintergrund könnte er die Frage „Wollt ihr wirklich einen blauen Präsidenten?“ noch viel stärker in den Fokus rücken. Aber vielleicht will er diese primitiven Mechanismen nicht zu sehr bedienen. Wenn alle anfangen, nur noch auf die Angstkomponente zu setzen, haben wir bald einen Wahlkampf wie in Amerika.

Wenn alle anfangen, nur noch auf die Angstkomponente zu setzen, haben wir bald einen Wahlkampf wie in Amerika.

Kann man gegen so starke Emotionen mit Inhalten ankommen?

Man kann auch Inhalte über Emotionen transportieren. Wenn ich ein Programm gegen Arbeitslosigkeit präsentieren will, muss ich mit Emotionen arbeiten. Man darf ja emotionalisieren, aber man sollte damit kein Schindluder treiben. Wenn man sagt: „Ein EU Austritt führt laut XY zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit“ – das ist eine stark emotionalisierende Message, die aber auf Fakten beruht. Wenn Strache von einem Bürgerkrieg oder der Einwanderungsflut spricht, kreiert er Bilder, die nichts mit der Realität zu tun haben. Denn sorry, aber 37.500 (Anm. der Red.: gesetzliche Obergrenze) Asylwerber sind viel, aber bei 8,5 Millionen Einwohnern sicher keine „Flut“. Dieses Spiel mit der Angst finde ich nicht okay.

Sehr oft wurde im vergangen Jahr auch von der „Spaltung“ des Landes in zwei Lager gesprochen. Die gegenseitigen Angriffe bewegen sich teils auf sehr niedrigem Niveau.

Ich glaube, da sollten wir vorsichtig sein. Natürlich gibt es zwei Fronten, aber man muss auch zwischen der Realität und der medialen Vermittlung differenzieren. Auch wenn sich in einem Dorf die Stimmen exakt 50:50 aufteilen, stehen sie sich nicht mit dem Gewehr gegenüber und sagen „Ich bin Lager A“ und „Ich bin Lager B.“ Ich finde das nicht ganz ungefährlich, denn wenn man dieses „Lagerdenken“ zu sehr hochstilisiert, wird der Konflikt immer weiter gehen. Auch nach der Wahl.

Aber wenn man die Diskussionen in den sozialen Netzwerken verfolgt, scheint die Hemmschwelle schon sehr niedrig. Ist das psychologisch zu erklären?

Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Wir haben momentan geopolitisch eine sehr spezielle Situation – Flüchtlingskrise, Trump, Brexit, Türkei, etc. Hinzu kommt, dass traditionelle Institutionen, an denen man sich orientieren konnte, an Bedeutung verloren haben: die Kirche, die Medien, etc. – das ist alles irgendwie wackelig geworden. Das überfordert die Menschen, man kennt sich nicht mehr aus. Gleichzeitig haben sie Kanäle, die sie vorher nicht hatten und es wird ihnen auf eine gewisse Art und Weise signalisiert, dass alles möglich ist. Putin kann auf der Krim einmarschieren, Trump sagt „Grab them by the pussy“ und wird trotzdem Präsident. Der Mensch orientiert sich an Führungsfiguren und das sind Politiker nun mal. Und wenn die alles behaupten und tun können und damit durchkommen, warum sollen wir das nicht auch können?

Text: Matthias Köb // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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