Alexander Huber
Dürfen wir Angst haben?
Der Berchtesgadener Alexander Huber ist diplomierter Physiker und Autor diverser Sachbücher. Um Physik geht es darin allerdings kaum: Huber zählt zu den erfolgreichsten Bergsteigern der Gegenwart. Spätestens mit dem Dokumentarfilm „Am Limit“ wurden er und sein Bruder Thomas als „die Huaberbuam“ weit über die Grenzen der Bergsteigerwelt hinaus bekannt. Die Angst bezeichnet er als seinen besten Freund.
Alex, nach Abschluss deines Physikstudiums hast du dich für das Bergsteigen entschieden. Mit Anfang 30 traf dich dann eine schwere Sinnkrise.
Das war nicht nur eine Sinnkrise, sondern eine generalisierte Angststörung. Als ich mit 28 Jahren Profi geworden bin konnte ich zwar bereits große Erfolge verbuchen, aber das Unterfangen stand auf wackligen Beinen. In meinem Fall lief es so, dass ich mich dazu entschieden habe, vom Bergsteigen zu leben und dann sofort ein paar Dinge schiefgelaufen sind. Ich hatte eine schwere Fingerverletzung und wusste nicht, ob ich überhaupt auf dem Niveau weiter klettern können würde. Dann hagelte es auch noch Kritik von unehrenwerten Kollegen - das war eine massive Belastung. Ich hab mich daraufhin ins nächste Projekt gestürzt um meinen Problem zu entkommen. Die Expedition blieb leider erfolglos und ich stand vor einem finanziellen Desaster: Die Versicherungen wollten mich kündigen, weil ich nicht eingezahlt hatte, und die Banken wollten mir kein Geld mehr geben. Und letztlich musste ich mir von einem Freund Geld leihen. Du stehst dann vor einem riesigen Haufen Scherben, aus dem nichts mehr zu kitten ist.
Wie hast du dich aus diesem Tief befreien können?
Ich habe professionelle Hilfe gesucht und gemeinsam mit einem Therapeuten mein Leben neu geordnet. Wir haben einen Plan erstellt, um mich aus der Lethargie zu befreien. Ich bin in der Früh auf den Berg rauf, habe 2000 Höhenmeter abgespult und war abends mit Freunden in der Halle trainieren. Ich habe angefangen meine Steuer zu machen, meine E-Mails zu beantworten, und auf einmal war das Selbstvertrauen wieder da. Mein Therapeut hat die einzelnen Elemente in mir aktiviert und die Dinge wieder gerade gebogen. Der Rest ist dann ganz von alleine gekommen. Es scheint vielleicht überraschend, dass ich so etwas erlebt habe, obwohl ich als Bergsteiger ja Profi im Umgang mit Angst bin. Ich habe dann meinen Zugang zu Angst am Berg in mein normales Leben übertragen. Man muss sich seinen Ängsten am Berg genauso wie seinen Alltagsängsten stellen. Wenn man dazu bereit ist, wird man auch einen Weg finden. Ich bin Schirmherr der deutschen Angstselbsthilfegesellschaft, weil ich vermutlich ein gutes Beispiel dafür bin, dass man Krisen überwinden und viel Positives daraus mitnehmen kann.
Man muss sich seinen Ängsten am Berg genauso wie seinen Alltagsängsten stellen. Wenn man dazu bereit ist, wird man auch einen Weg finden.
Wie viel Angst hast du vor dir selbst – oder davor, dass dich deine Angst einmal täuschen könnte?
Ich habe keine Angst davor, dass ich einmal eine angstauslösende Situation ignorieren würde. Dafür bin ich ein viel zu wachsamer Geist. Ich war beispielsweise vor der Diretissima (Alex bezwingt 2002 als erster Mensch die Nordwand der Großen Zinne in den Dolomiten seilfrei, Anm.) sehr verunsichert, weil es schon lang mein Traum war, diese Wand alleine durchzusteigen. Beim ersten Versuch habe ich schnell bemerkt, dass ich nicht bei mir selber bin. Ich hab den Druck dieser 500 Meter-Wand so massiv gespürt, dass ich nach fünf Metern wieder abgeklettert bin. Beim zweiten Versuch war es gar keine bewusste Entscheidung mehr, die Nervosität ist einfach verschwunden und ich hatte vollstes Vertrauen in mich selbst.
Hat die Angst einen zu schlechten Ruf?
Angst wird immer stigmatisiert: In einem Unternehmen beispielsweise würde der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns nie zugeben, dass er Angst vor einer Entscheidung hat, weil Angst negativ behaftet ist. Dabei hat diese Person genauso Angst wie jeder andere von uns. Die Frage ist nur, was löst die Angst in diesem Moment in uns aus? Sofern wir eine saubere Entscheidungsgrundlage haben weiter zu machen und unser Selbstvertrauen sagt, dass wir dieser Herausforderung gewachsen sind, dann sollten wir weitermachen. Denn dann kann diese Angst eine unglaublich starke Konzentration in uns auslösen. Respekt ist ja auch nur ein Synonym für Angst, aber das Wort Respekt darf ich in den Mund nehmen, das Wort Angst jedoch nicht.
Viktor Frankl sah den Grund für seine Faszination für das Bergsteigen in einer Angst vor dem Berg mit der gleichzeitigen Gewissheit, stärker als die Angst sein zu können. Ist der Berg für dich ein „Lehrmeister des Lebens“ wie ihn Frankl bezeichnet?
Ich stimme Frankl völlig zu. Es ist nicht der Berg, den ich bezwingen kann, sondern immer das eigene Ich. Der Berg ist ein Medium, durch das wir viel über uns selbst erfahren können. Und wie gesagt: Idealerweise transferieren wir dann diese wertvollen Erfahrungen und Erinnerungen in unser alltägliches Leben.
Text: Robert Maruna // Friendship.is
Fotos: Florian Lechner // Friendship.is