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Irmgard Kramer
Braucht Lesen seine Zeit?

Die Autorin und gebürtige Vorarlbergerin Irmgard Kramer schreibt nicht nur viel, sondern liest auch oft und überall. Im Interview erklärt sie, warum Lesen besonders für Kinder wichtig ist, Jugendliche bestenfalls gleich ihre eigenen Geschichten schreiben sollten, und
dass sie selbst mittlerweile auch Bücher für Erwachsene verfassen möchte. Eine gute Geschichte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln, hält sie jedoch noch immer für die schwierigere Aufgabe.

Der Herbst kommt und damit auch wieder die Lesezeit. Ist das bei dir auch so?

Ich lese eigentlich immer, ganz unabhängig von der Jahreszeit. Auch Orte spielen dabei keine große Rolle, egal ob daheim im Wohnzimmer oder in einem Kaffeehaus, so wie hier im Café Schopenhauer. Wenn ich allerdings gerade an einem neuen Jugendbuch arbeite, lese ich nichts Artverwandtes. Das würde sich sonst zu sehr auf meine eigene Sprache auswirken.

Du hast bereits viele Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Schreibst du für diese junge Zielgruppe, weil du viele Jahre als Lehrerin gearbeitet hast?

Das ist eine interessante Frage, über die ich tatsächlich schon sehr oft nachgedacht habe. Erklären kann ich es nicht, warum ich gerne für junge Menschen schreibe. (Pause) Aber ich merke in letzter Zeit, dass ich mich als Autorin weiterentwickle und auch gerne Bücher für Erwachsene schreiben möchte.

Wo liegt der größte Unterschied, ob du für Kinder und Jugendliche oder für erwachsene Menschen schreibst?

Wenn man für Kinder schreibt, muss man mit sehr einfachen sprachlichen Mitteln arbeiten. Also mit Sätzen, die oft nur aus drei Wörtern bestehen, die wiederum auch nur sehr kurz sein sollten. Trotzdem muss die Geschichte – wie jede andere gute Geschichte auch – spannende Charaktere beinhalten, über eine Wendung und einen Höhepunkt verfügen und ein unerwartetes Ende haben. Und obwohl ich das alles weiß, erwische ich mich immer wieder dabei, dass ich glaube, ein Buch für Kinder schreibt sich leichter als ein Buch für Erwachsene. Aber das stimmt nicht.

Es geht hauptsächlich um die Verknüpfung von Dingen. Weil eigentlich war jede Idee schon einmal da.

Was macht für dich eine gute Geschichte aus?

Wie gesagt, spannende Figuren, eine überraschende Wendung und ein unerwartetes Ende. Also Dinge, die mich überraschen, die ich noch nicht kenne. Dabei geht es hauptsächlich um die Verknüpfung von Dingen. Weil eigentlich war jede Idee schon einmal da. Es gibt Bücher über Pferde und es gibt Bücher über Sprungbretter. Aber wenn man das miteinander verknüpft, also eine Geschichte über ein Pferd auf einem Sprungbrett macht, dann wird das ziemlich sicher eine außergewöhnliche Geschichte.

Wie wichtig ist das Lesen für Kinder und Jugendliche?

Sehr wichtig, das ist gar keine Frage. Weil es die Fantasie anregt und Empathie lehrt. Aber mindestens genauso wichtig ist das Schreiben. Nämlich das freie Schreiben, nicht wie in der Schule unter Themenvorgabe und Notendruck. Kinder sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, ohne dass jemand sie dabei einschränkt. Ich kenne Jugendliche, die haben schlechte Noten im Deutschunterricht und daheim schreiben sie Fantasygeschichten mit hunderten Seiten. Und meist weiß kein Erwachsener davon, am allerwenigsten ihre Lehrer.

Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche immer weniger lesen. Hältst du das für problematisch?

Das ist leider so. Vor allem werden immer weniger Bücher gelesen. Das Smartphone hat diesbezüglich viel verändert. Es werden nur noch kleine Text-Häppchen präsentiert, was sich natürlich negativ auf die Aufmerksamkeitsspanne auswirkt – nicht nur bei Kindern. Ich merke, dass es mir selbst immer schwerer fällt, mich auf lange Texte zu konzentrieren. Das hat auch  einen Einfluss auf mein Schreiben.

Es werden nur noch kleine Text-Häppchen präsentiert, was sich negativ auf die Aufmerksamkeitsspanne auswirkt.

Lass uns noch ein bisschen über dein Schreiben sprechen. Wie anfangs erwähnt, hast du lange Zeit in einer Schule gearbeitet. Wie wurde aus der Lehrerin Irmgard Kramer die Autorin Irmgard Kramer?

Ich habe mich nach meiner Matura für eine mir vertraute Welt entschieden, darum bin ich Lehrerin geworden. Als ich 35 war, habe ich dann erfahren, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Das war der Auslöser, endlich das zu tun, was ich in Wahrheit immer schon wollte, mich aber nie mich aber nie getraut habe: Romane schreiben und davon leben können.

Jetzt ist es ja nicht so, dass man sich sagt „Ich möchte Autorin werden“ und das dann auch auf Anhieb klappt. Wie ist dir das gelungen?

Zehn Jahre lang habe ich geschrieben, einen Roman nach dem anderen, neben der Arbeit, in der Nacht, an Wochenenden, und nur Absagen bekommen. Dann war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um eine Agentin zu kriegen, die mir die Türen geöffnet hat. Ich hatte eine romantisierte Vorstellung vom Beruf der Autorin.

Deckt sich die Realität mit dieser Vorstellung?

Nicht immer! Aber wenn ich gerade eine neue Idee für einen Text habe und alles fließt nur so aus mir heraus, dann ist das schon sehr nahe an meiner damaligen Vorstellung. Das genieße ich sehr. Allerdings gibt es auch Dinge, die ich mir ganz anders vorgestellt habe. Lesereisen sind weit weniger romantisch, als ich gedacht habe. Aber sie gehören dazu, denn vom Bücherverkauf allein lebt es sich schwer.

Hast du zum Abschluss noch einen Tipp für junge Menschen, die gerade mit dem Schreiben begonnen haben?

Vielleicht nicht unbedingt nur für junge Menschen, die schreiben möchten, sondern ganz generell: Man sollte an sich selbst glauben, versuchen, das zu machen, was man wirklich liebt, und nicht zu schnell aufgeben. Man kann seine Träume verwirklichen, egal wie alt man ist.

Text: Harald Triebnig // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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