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27.09.2022
Eröffnungsrede FAQ Bregenzerwald 2022

Guten Abend. Mein Name ist Christian Seiler, und ich möchte Ihnen zur Eröffnung des siebten FAQ Bregenzerwald eine Geschichte erzählen. 

Am vergangenen Wochenende war ich auf einer Hochzeit. Es gab guten Schweinsbraten, ausreichend Bier und einen Alleinunterhalter. Der Alleinunterhalter hieß Dieter. Er hatte ein kleines Keyboard, große Boxen und ein paar Spaßutensilien mitgebracht, spielte Musik, die mir nicht sehr vertraut war und erzählte Witze, als wäre die politische Korrektheit noch nicht erfunden worden. Vielleicht ist sie ja tatsächlich noch nicht erfunden worden: Sämtliche Witze kamen erstklassig an, bei Männern und bei Frauen. 

Irgendwann, als der Abend schon fortgeschritten war, brauchte Dieter, der Alleinunterhalter, fünf Freiwillige, die zu ihm auf die Bühne kommen. Fünf Herren mit Rhythmusgefühl. Rhythmusgefühl in den Hüften, meine Herren, wer hat das nicht. 

Ich habe nicht aufgezeigt. Aber Dieter drehte eine Runde durch den Wirtshaussaal, erblickte mich, zeigte auf mich, und wenig später stand ich mit vier anderen traurigen Gestalten auf der Bühne, um bei einem Spiel mitzumachen. 

Das Spiel ging so: Wir traurigen Gestalten mussten uns im Halbkreis vor der Braut aufstellen. Jeder von uns bekam eine Glocke, nicht ganz so groß wie eine Kuhglocke, aber fast, und mussten sie so am Hosengürtel befestigen, dass vom Hosenstall nichts mehr zu sehen war, wenn Ihr versteht, was ich meine. 

Dann mussten wir rhythmische Bewegungen vorführen, einer nach dem anderen. Die Glocken machten kaum Geräusche, aber Dieter hatte die Fernbedienung für das Keyboard, und so bekam die erste Glocke einen tiefen und schweren Klang, was sehr lustig war, die nächste klingelte ganz schnell und hoch, was noch lustiger war, und dann, als eh schon alles superlustig war, mussten wir gemeinsam den Schneewalzer tanzen und dabei im Dreivierteltakt läuten, das war dann auch ein bisschen anspruchsvoll. Es existieren Ton- und Bilddokumente davon, fürchte ich. Am Ende durfte die Braut den Tänzer ihres Herzens wählen und ihn persönlich von der Glocke befreien, und Ihr ahnt, dass ich auch dabei die erste Wahl war. 

Dieter fragte mich auf der Bühne nach meinem Namen. Ich antwortete wahrheitsgemäß: Seiler, und dann fingen schon die Kumpels des Bräutigams zu singen an: Lalala Seiler, er ist jünger, schöner, geiler, und anschließend durfte ich gemeinsam mit den anderen traurigen Gestalten an die Bar, um mich dort mit Schnaps für den Unterhaltungswert unserer Darbietungen belohnen zu lassen. 

Wenn Sie sich schön langsam fragen, wohin diese Schilderung offensichtlichen Irrsinns eigentlich führen soll, dann kann ich ihnen eine überraschende Antwort geben: mitten in erstaunlich erkenntnisreiche Begegnungen. Denn als wir an der Schnapsbar gelandet waren, fühlten wir uns nicht nur von der Last der Glocken, sondern auch vom verordneten Frohsinn befreit, so dass wir die nächste halbe Stunde nicht mit der Fortsetzung der angebrochenen Scherze verbrachten, sondern einander ein bisschen Einblick in grundverschiedene Lebensrealitäten gewährten. 

Das war nicht uninteressant. So wie einer der Jungs es erstaunlich fand, dass man über nur ein Thema ein ganzes Buch mit ein paar hundert Seiten schreiben kann, fand ich es interessant, dass große Unternehmen ihre Mitarbeiter, ohne das besonders lang ankündigen zu müssen, entweder in die Früh- oder in die Spätschicht einteilen können, was eine verlässliche Lebensplanung ziemlich unmöglich macht. Ich erfuhr, dass im Sportverein nicht nur gesportelt und gesoffen, sondern auch sehr aufmerksam darauf geschaut wird, dass der Kumpel, der letztes Jahr sein Auto mit zwei Promille über die Böschung befördert hat, nach dem Training gefälligst nur Wasser trinkt, bis er den Schein zurückhat. Und ohne dafür die Erklärungen von Soziologen, Philosophen oder Politologen vorgetanzt zu bekommen, erfuhr ich aus erster Hand, aus welchem Stoff ein gewisser Zusammenhalt unserer Gesellschaft gewebt wird und welche Rolle die persönliche Auseinandersetzung für das Gemeinwohl spielt: Sie ist elementar. Durch nichts zu ersetzen. Sobald wir Menschen einander als die bunten Hunde/ traurigen Gestalten begegnen, die wir sind, sobald wir einander als von der selben Gattung begreifen, verwandeln sich Teile dessen, was uns offensichtlich trennt, in selbstverständliche Elemente des Verbundenseins. 

Ich will das FAQ Bregenzerwald nicht mit der Schnapsbar von der Hochzeit vergleichen. Aber ich will den Rang dessen, was heuer zum siebten Mal in dieser Region stattfindet, einmal angemessen einordnen: Das FAQ leistet relevante, wenn nicht sogar elementare Arbeit. 

Das FAQ hat die Aufgabe übernommen, Menschen zusammenzubringen, die sonst nicht unbedingt zusammenkommen würden. Das FAQ schafft Räume, wo Auseinandersetzung stattfindet – und damit meine ich nicht die Art von Auseinandersetzung, die eh schon unsere öffentliche Diskussion ruiniert, dieses konfrontative, auf Krawall gebürstete Aneinander-Vorbeischreien längst festgelegter Argumente. 

Hier bekommen Menschen die Gelegenheit, einander auseinanderzusetzen, warum sie denken, wie sie denken. Hier wird ihnen genug Zeit eingeräumt, dass sie in aller Ausführlichkeit ihre Argumente auslegen können. Hier eröffnen sie uns die Gelegenheit, ihnen beim Denken zuzusehen, Argumente abzuwägen, Zusammenhänge zu durchdringen, Neues zu verstehen – und manchmal vielleicht auch nur den Kopf zu schütteln, weil eine Idee zu abgefahren, zu radikal oder auch schon wieder überholt ist. Auch das gehört zu einer Auseinandersetzung, wie ich sie verstehe. 

Außerdem sind wir beim FAQ dabei, wenn Mikro- und Makrokosmen miteinander verhandelt werden, wenn großes, freies Denken mit überschaubaren Strukturen und Sachzwängen abgeglichen wird. Die Handwerker des Bregenzerwalds haben vor vielen Jahrzehnten die Tradition begründet, sich von auswärtigen Meistern befruchten zu lassen und deren Expertise der eigenen Arbeit einzuschreiben. Das FAQ ist ein Instrument, das sich eigentlich die gegenwärtigen Handwerker des Denkens, Planens und Umsetzens ausgedacht haben müssten, Politiker, Magistraten, Wirtschaftslenker, um an diese kluge, liberale Tradition anzuschließen und von den Ideen, die am virtuellen Baum der Erkenntnis wachsen, immer wieder die richtigen zu pflücken. Ich hoffe, dass sie alle da sind. Ich hoffe, dass sie alle zuhören. 

Nun ist das Auslegen von Ideen, das Stellen von Fragen, die behutsame Suche nach Antworten nur ein Teil dessen, was beim FAQ geschieht. Und das hat auch gute Gründe. 

Denn wir – und damit meine ich uns alle – begegnen uns nicht nur im Diskurs. Wir kommunizieren nicht nur auf intellektueller, abstrakter Ebene miteinander. Unsere Verbundenheit kann auch das Produkt unterschiedlichster, aber nicht minder elementarer Kulturtechniken sein. 

Das FAQ stellt auch solche Momente her. Wenn ich als Beispiel jetzt die Improvisationen des großartigen Pianisten Benny Omerzell auf der Brücke zwischen den Dörfern über der Subersach nenne, dann ist das nur eines jener elementaren Einzelstücke, das vom FAQ geschaffen wurde und das niemand, der dabei gewesen ist, je vergessen kann: als Moment der besonderen Verbundenheit mit jenen anderen Menschen, mit denen man vielleicht nicht viel mehr gemeinsam hat als diese Erinnerung – aber diese Erinnerung eben schon. Die Erinnerung ist der erste Baustein für Verbundenheit, für Auseinandersetzung, für den Bauplan menschlicher Beziehungen. 

Andere Momente, zum Beispiel am gemeinsamen Tisch: Es ist ja kein Zufall, welche metaphysische Bedeutung das Brechen des Brots und das Teilen des Weins hat. Immer wieder haben wir hier solche Momente erlebt, wenn wir irgendwo saßen, miteinander eine unkonventionelle Mahlzeit einnahmen – ich erinnere mich, nur ein Beispiel, an die köstliche Sennsuppe, die Thorsten Probost vor der Alten Sägerei zubereitet hat –, und dabei mit anderen Menschen ins Gespräch kamen, die vor der selben Herausforderung standen wie wir: Was ist das, was wir hier essen sollen? Schmeckt das? Probierst Du? Du zuerst? Siehst du, schmeckt, schmeckt gut, denke für die Courage, das haben wir gut gemacht. 

Die Menschen, die das FAQ erfunden haben und seit sieben Jahren programmieren, haben ein seltenes Talent. Sie können situativ denken. Sie haben ein Gefühl für Gefühle, für Botschaften, die nicht direkt, sondern im Umweg über Emotionen, über sinnliches Empfinden vermittelt werden. Sie gehen das Risiko ein, Dinge auch einmal entgleisen zu lassen, und wieder kann ich aus eigener Erfahrung berichten, wie sich ein Talk über den Selbstmord eines Jugendlichen zu einer Verdichtung von Emotionen ausgewachsen hat, so dass selbst standfeste Typen wie ich plötzlich zu schwanken begannen, im Gleichklang übrigens mit ein paar anderen Menschen, denen so wie mir für einen Augenblick der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Und wieder war da so ein elementarer Moment der Verbundenheit, ein Moment, den man nicht konstruieren kann, der aber nur gelingt, wenn ihm zutiefst menschliche Übereinstimmungen zugrunde liegen. 

Vor ein paar Monaten hatte ich die Gelegenheit, ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack zu führen. Sie ist die Autorin des Buches „Vom Wert des Menschen“, und wir sprachen unter anderem darüber, was Menschlichkeit ausmacht. Frau Prainsack sagte einen bemerkenswerten Satz, den ich gern zitieren möchte: „Menschlichkeit bedeutet, sich selbst und seiner Verbindungen zu den anderen Lebewesen auf dem Planeten gewahr zu sein. Und auch dessen gewahr zu sein, dass wir keine atomistischen Individuen sind, dass unsere Interessen und Identitäten von den Beziehungen zu unserer menschlichen, sozialen und künstlerischen Umwelt geformt werden. Allein dieses Gewahrsein macht uns schon menschlicher.“ 

Ich würde sagen, das FAQ ist ein Fest dieses Gewahrseins, ein Fest der Verbundenheit und der menschlichen Auseinandersetzung. Und ich bin dankbar, auch dieses Jahr wieder Teil davon sein zu dürfen. 

Aber bevor es jetzt feierlich wird, muss ich noch einmal zur Hochzeit vom vergangenen Wochenende zurückkommen. Irgendwann gelang es nämlich einem Kumpel des Bräutigams, dem Alleinunterhalter Dieter das Mikrophon wegzunehmen und selbst ein Lied anzustimmen, in das die Kollegen vom Sportverein sofort begeistert einstimmten. 

Ich hatte das Lied noch nie zuvor gehört, und hätte ich es gekannt, hätte ich es mit Sicherheit nicht erkannt, denn gute Interpreten waren die Typen vom Sportverein jetzt nicht. Aber irgendetwas an dem Song berührte mich, obwohl die Substanz im allgemeinen Gegröhle der ungeschulten Männerstimmen gut verborgen war. Aber ich sah – ich wurde gewahr –, wie der Song wirkte, wie er etwas zum Ausdruck brachte, was mit dem Innersten dieser Menschen in Verbindung stand, und das machte mich neugierig und weich. 

Auf der Heimfahrt recherchierte meine Frau dann mit den paar Zeilen, die dauernd wiederholt worden waren und die wir uns gemerkt hatten, welcher Song das eigentlich war. Auf dem Sampler „Bierzelthits 2022“ wurde sie fündig. Als wir das Lied dann im Auto hörten, dachte ich mir, mhm, okay, super Song, aber das geht noch besser – „zierlicher“, wie es mein Freund Willi Resetarits immer formulierte, wenn er ein Lied entkleiden wollte, sein Innerstes nach Außen kehren. Und deshalb habe ich die großartige Anna Mabo gebeten, dieses Lied zu spielen, und ich denke, dass darin alles enthalten ist, worüber wir gerade gesprochen haben: das Gewahrsein. Die Verbundenheit. Und am Schluss natürlich die großartigen Möglichkeiten der Verfeinerung, die uns dieses Festival ermöglicht. 

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Wenn man so will
Bist du das Ziel einer langen Reise
Die Perfektion der besten Art und Weise
In stillen Momenten leise
Die Schaumkrone der Woge der Begeisterung
Bergauf, mein Antrieb und Schwung

Ich wollte dir nur mal eben sagen
Dass du das Größte für mich bist
Und sichergehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst
Für mich fühlst

Wenn man so will
Bist du meine Chill-Out Area
Meine Feiertage in jedem Jahr
Meine Süßwarenabteilung im Supermarkt
Die Lösung, wenn mal was hakt
So wertvoll, dass man es sich gerne aufspart
Und so schön, dass man nie darauf verzichten mag

Ich wollte dir nur mal eben sagen
Dass du das Größte für mich bist
Und sichergehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst
Für mich fühlst

Ich wollte dir nur mal eben sagen
Dass du das Größte für mich bist
Und sichergehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst
Für mich fühlst

(Text: Sportfreunde Stiller)