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Simon Vetter
Wie wird Landwirtschaft zum Labor?

Bio-Landwirt Simon Vetter liebt es, auf seinem Land Dinge anzubauen, die normalerweise nur in anderen Gefilden wachsen: Süßkartoffeln, Ingwer, eines Tages vielleicht Erdnüsse. Er liebt die Freiheit, die das Bauer-Sein mit sich bringt. Und das gute Gefühl, wenn ein Versuch glückt. Er verbindet altes Wissen mit neuen Technologien, schätzt den Direktvertrieb und weiß, vor welchen Umbrüchen die Landwirtschaft steht.

Du betreibst einen erfolgreichen Bio-Bauernhof und scheinst einen guten Draht zur Natur zu haben.

Ich würde sagen, ich habe mehr mit Kultur zu tun als mit Natur, weil jedes Feld, auf dem ich arbeite, ist ein Produkt kultureller Leistung. In dem Moment, da der erste Mensch die erste Axt an den ersten Baum angesetzt hat, ist ein menschlicher Raum entstanden – so wie später jedes Haus, jede Stadt. Wir arbeiten mit Kulturtechniken, und auch die Pflanzen, mit denen ich arbeite, sind Kulturprodukte. Die Karotte war zum Beispiel früher auch nicht orange: Niederländische Züchter haben sie einst aus kulturellen Gründen für die ihre Königin in der Nationalfarbe Orange eingefärbt.

Du baust auch gerne Gemüsearten an, die an Orten wie diesen sonst nicht wachsen. Wie kann das funktionieren?   

Im Gegensatz zu anderen Berufen können wir in der Landwirtschaft die Grundvoraussetzungen, die eine Gegend vorgibt, nur bedingt ändern. Vorarlberg ist zum Beispiel eine Region, in der es extrem viel regnet. Hier Dinge anzubauen, die im Marchfeld gut gedeihen, wird schwierig. Der Standort gibt vieles vor – aber das versuchen wir auszureizen bis zum Gehtnichtmehr. Wir probieren alles aus, was man innerhalb dieses vorgegebenen Systems machen kann. So sind auch sämtliche Kulturpflanzen zu uns gekommen. Die Süßkartoffel ist für mich ein schönes Beispiel dafür, wie schnell es geht, dass ein Gemüse „heimisch“ wird. Ich wette einiges darauf, dass es in zehn Jahren keinen Bauernmarkt mehr geben wird, wo man keine Süßkartoffeln findet.

Wie wichtig ist die Intuition in der Arbeit die du tust?  

Für mich ist Landwirtschaft wie ein Riesenlabor, in dem man sich austoben kann. Und wie in einem Labor gibt es auch Regeln, an die man sich halten muss, damit es nicht explodiert. Aufbauend auf diesem Grundregelwerk des biologischen Landbaus, den schon meine Großeltern versucht haben umzusetzen, also weite Fruchtfolgen, kein Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenmitteln, kein Mineraldünger etc., kann man alles Mögliche ausprobieren. Ingwer zum Beispiel – der wächst auch hier und jetzt geht es darum, an den Stellschrauben zu drehen. Wenn ein Versuch glückt, dann ist das eine unglaubliche Triebfeder. Ich liebe es, die Möglichkeiten auszureizen und zu schauen: Was kriegt man raus?

Spielen hier auch neue Technologien eine Rolle?

Wir sind ein Betrieb, der alles, was er herstellt, auch selber vermarktet. Da die Vermarktung von Lebensmitteln ein großer logistischer Aufwand ist, haben wir mit zwei Informatikern eine Software für die kleine landwirtschaftliche Direktvermarktung entwickelt. Wir produzieren also Lebensmittel nach sehr alten Traditionen, aber die Wege, wie wir sie vertreiben, sind absolut state of the art. Für dieses Softwareprojekt haben wir so ziemlich alle Institutionen abgeklappert die es gibt, aber keine Chance auf finanzielle Unterstützung, und das obwohl die Hälfte des EU-Budgets für landwirtschaftliche Förderungen verwendet wird. Daran sieht man, wie das System krankt. Der Lebensmittelhandel in Österreich steht vor einem radikalen Umbruch, denn er ist der einzige Bereich, der von der Digitalisierung noch nicht erfasst worden ist. Wir kaufen Schuhe, Bücher, Kleidung online, buchen unseren Urlaub online, aber im Lebensmittelhandel sind wir erst einen Schritt davor. Da werden die Karten ganz neu gemischt, und in ein paar Jahren werden auch kleine Akteure mithilfe der richtigen Tools ihre Waren vertreiben können.

Wir kaufen Schuhe, Bücher, Kleidung online, buchen unseren Urlaub online, aber im Lebensmittelhandel sind wir erst einen Schritt davor.

Der Direktverkauf ist in der Landwirtschaft ja noch nicht so weit verbreitet. Warum funktioniert es bei euch?

Das hat mehrere Gründe. Einerseits leben wir hier in Vorarlberg in einer der am meisten gesegneten Regionen Mitteleuropas. Ein anderer Grund ist, dass ich das nicht erst seit zwei Jahren mache. Wir haben viele Kunden, die in zweiter und dritter Generation bei uns einkaufen. Ein weiterer Punkt ist, dass wir versuchen, sehr offensiv in der Kommunikation zu sein. Social Media-Kanäle eignen sich gut, um zielgerichtet und günstig Inhalte und Informationen zu transportieren. Aus diesen Gründen können wir 90 Prozent unserer Waren direkt vertreiben. Im österreichischen Durchschnitt sind es übrigens nur 2 Prozent.

Was macht für dich den Beruf des Bauern im Kern aus?

Freiheit und Autonomie über ein Stück Land mit Tieren und Pflanzen, die man anvertraut bekommt. Für mich ist es wichtig, den Betrieb so zu organisieren, dass ich einen möglichst hohen Grad an Autonomie bewahre – in der Finanzierung, in der Vermarktung, in der Art und Weise, wie wir unsere Felder bewirtschaften. Das hat aber nichts mit Selbstversorgung zu tun, denn ich bin ein großer Freund von Austausch. Der Mensch lebt vom Austausch, nicht nur von Waren, sondern auch von Ideen. Es wäre vermessen, Autarkie zu wollen. Ich will mich nicht ausschließen aus dem System, sondern meinen Beitrag leisten. Wir sind ja keine Öko-Hippies.

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Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is

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