Toni Innauer
„Es macht mir Spaß, Dinge immer wieder anders zu denken“
Olympiasieger, Skispringer und Sportdirektor des ÖSV (Österreichischer Skiverband) auf der einen, Berater, Kolumnist und Vortragender auf der anderen Seite: Toni Innauer hat genauso viel Spaß an der Bewegung wie am Denken. Wir haben den Vorarlberger gefragt, warum er sich als Querdenker mit Verantwortungsbewusstsein sieht, wie sich seine Einstellung zu Themen wie Glück, Scheitern und Arbeiten im Laufe der Jahre geändert hat und was er seinem jungen Ich raten würde.
Du bezeichnest dich als „Querdenker mit Verantwortungsbewusstsein“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Es macht mir Spaß, Dinge aus meinem Erfahrungshintergrund immer wieder neu oder anders zu denken und blinde Flecken ausfindig zu machen – das verstehe ich unter Querdenken. Dieses Querdenken muss aber auch einen Sinn haben, indem es meinem Gegenüber oder der Gesellschaft etwas bringt – daher der Zusatz ‚mit Verantwortungsbewusstsein’. Ich denke gerne selber und das nicht nur weil es Mode ist oder im Trend liegt. Ideologische Blicke, ob sie erkennbar und manipulativ politisch eingefärbt, religiös oder esoterisch sind, machen mich skeptisch – ich hinterfrage sie gerne, weil ich den Dingen auf den Grund gehen und wissen will, was sie wirklich zusammenhält.
Die Frage nach dem Glück ist eine der großen Fragen des FAQ Bregenzerwald. Wenn du dein jüngeres Ich mit deinem heutigen vergleichst: Hättest du die Frage nach dem, was dich erfüllt, damals anders beantwortet?
In Einzelbereichen ja, aber es gibt auch eine große Schnittmenge, die ich heute so beantworten würde wie früher. Was für mich wesentlich ist, hat mit meiner Prägung hier zu tun - und das sind Dinge wie Selbstentfaltung, Natur und Ruhe. Kontakte zu anderen Menschen und Beziehungen sind mit der Zeit mehr geworden, denn früher war ich sehr zurückgezogen und schüchtern. Leicht autistisch veranlagt, ist mir der Zugang schwer gefallen, aber im Laufe der Jahrzehnte habe ich ihn mir ermöglicht.
Eine andere Frage hier dreht sich um das Thema Scheitern. Wie war früher dein Zugang dazu? Wie ist er heute?
Das war holzschnittartig: Damals war alles auf Sport, Erfolg und Perfektionierung ausgelegt. Scheitern bedeutete, die in einem Wettkampf gesetzten Ziele nicht zu erreichen. Heute heißt nicht zu gewinnen für mich noch lange nicht scheitern. Mittlerweile bedeutet Scheitern für mich, seine Ideale zu verraten, – wie zum Beispiel im Sport zu dopen, um den ergebnisoffenen Ausgang eines Wettbewerbs außer Kraft setzen und mit allen Mitteln gewinnen zu wollen, Scheitern durch Betrug zu eliminieren. Das Betrügen durch immer größer werdende Kavaliersdelikte ist für mich so ein Scheitern in der eigenen Person und dafür hab ich mich mit der Zeit sensibilisiert. Mich hat es immer sehr irritiert, wenn Kollegen gesagt haben ‚Wenn ich irgendwie schwindeln kann und dafür gewinne ich eine Medaille, dann würde ich das tun’. Also im Sinne von ‚Wenn du nicht erwischt wirst, ist es hinterher egal, wie du zu dem Titel gekommen bist’. Ein menschliches Leistungsprinzip beinhaltet, dass man sich auch für faire Spielregeln einsetzt.
Wie hat sich deine Einstellung zur Arbeit geändert?
Die hat sich deutlich geändert. Heute setze ich mich nicht mehr zwei Nächte lang bis 04:00 Uhr in der Früh hin, um an einem Thema zu arbeiten, wenn ich merke, dass ich um 01:00 Uhr schon todmüde bin. Das habe ich ein, zwei Mal zu oft gemacht und dafür auch energetisch bezahlt. Heute erkenne ich die Zeichen, wenn ich merke, dass der Kopf träge wird und sich gegen Überlastung wehrt – und das versuche ich unter allen Umständen zu vermeiden. Grundsätzlich gehe ich viel behutsamer mit mir um. Und ich habe auch kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich am Sofa liege und lese. Früher habe ich das als reine Entspannung gesehen, aber heute sehe ich das auch als Arbeit im Sinne von Bildungsarbeit. Ich brauche diese Weiterbildung für meine Vorträge, ich kann schließlich nicht immer in denselben Worten von 1976 erzählen... (Anm.: 1976 springt Toni Innauer im schwäbischen Oberstorf den wahrscheinlich schönsten Sprung der Skisprunggeschichte)
Wenn du deinem jungen Ich einen Brief schreiben könntest, was wäre der Inhalt?
Ich würde ihm eindeutig zu mehr Geduld mit sich selber raten. Und ich würde ihm raten, ein Musikinstrument zu lernen, was ich jetzt spätberufen noch tue – seit fünf Jahren spiele ich etwas intensiver Gitarre. Früher hab ich meinen Stellenwert über sportliche Leistung gesucht, weil ich gemerkt habe, dass das in meinem Freundeskreis die anerkanntere Währung war als musizieren zu können. Mit der Gitarre und Singen ist man seinen eigenen Gefühlen näher und ich wäre wahrscheinlich beim anderen Geschlecht besser angekommen...
Glaubst du, man muss selber Fehler machen um daraus lernen zu können?
Ich kann für mich sagen, dass ich dankbar für 95 Prozent der Erfahrungen bin, die ich gemacht habe, obwohl sie teilweise nicht leicht zu ertragen waren. Aber es hat mit Resilienz zu tun, die ich offenbar besitze – die Fähigkeit, fordernde oder schwierige Erfahrungen, Verletzungen oder Rückschläge so umzuformen oder umzuarbeiten, dass sie zu Persönlichkeitsausprägungen geführt haben, die für mich bereichernd waren und bis heute sind.
Was sind die Fragen, die du dir selber immer wieder stellst?
Im Kontext Arbeit frage ich mich, wie viel ich arbeiten muss und wie viel ich arbeiten will und in welchem Ausmaß ich mich über beruflichen Erfolg definiere. Als Unternehmer heißt das: Wie viele Aufträge möchte ich akquirieren? Wofür setze ich mich ein? Wo ziehe ich persönlich meine Grenzen? Wie viel muss ich arbeiten um noch genussfähig zu bleiben und das Leben als wertvoll zu empfinden? Einen gewissen Spieltrieb habe ich jedenfalls: Ich riskiere gewisse Dinge, die andere nicht riskieren würden – weil ich weiß, dass ich sonst nie erfahren würde wie es ausgeht. Ich möchte dann einfach wissen: Was kommt unterm Strich heraus?
Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Ian Ehm // Friendship.is