Menu
Zur Übersicht

Edward Espe Brown
Das Herz hat Platz für alles, was kommt

Zen-Meister und Autor Edward Espe Brown praktiziert seit über 50 Jahren Zen. Er lehrt anderen nicht nur Meditation, sondern auch die Kunst des Lebens und jene des Brotbackens. Der Dokumentarfilm „How to cook your life“ (Doris Dörrie, 2007) machte ihn einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Den Corona-Lockdown verbrachte Edward meditierend auf dem Anwesen von Freunden im kalifornischen Anderson Valley – mit 30 anderen, die inmitten der Krise, umgeben von dichten Wäldern und duftenden Wiesen, wieder mehr zu sich finden wollten. Darum soll es auch hier gehen – um die Frage: Wie kann ich in mir selbst zuhause sein?

Du giltst als Pate des Brotbackens, hast ein Buch darüber geschrieben und hältst seit Jahrzehnten Workshops dazu ab. Auch während des Corona-Lockdowns haben viele Menschen wieder angefangen, Brot zu backen. Kannst du dir erklären, warum?

Ich glaube, dass Brotbacken viel mit dem Gefühl zu tun hat, dass wir zuhause sind, dass wir genährt werden. In Getreide steckt so viel Kraft aus Erde, Luft, Sonne und Wasser. Es ist herzerwärmend zu sehen, wie das Brot aufgeht. Wie es sich anfühlt, wenn man es mit seinen Händen bearbeitet. Brot zu kneten macht die Hände glücklich. Und Hände sind glücklich, wenn sie Hände sein dürfen, wenn sie etwas zu tun haben. Hände verbinden Körper und Geist – egal ob sie Brot machen oder im Garten arbeiten. Sie geben Liebe und können Liebe annehmen.

Du hast das Gefühl des Zuhause-Seins angesprochen. Sich in sich selbst zuhause zu fühlen ist vor allem in herausfordernden Zeiten wichtig.

Ja, weil wir wissen, dass in unserem Leben vieles passieren kann – Beziehungen zerbrechen, man verliert sein Zuhause, seinen Job und sogar geliebte Menschen. Oft denken wir: Ich kann erst glücklich sein, wenn ich meine Sorgen und Ängste und Probleme los bin. Deshalb fragen wir uns: Was kann ich tun, um meine Probleme zu lösen? Wir fangen aber erst an, uns in uns selber zu Hause zu fühlen, wenn wir die Tatsache akzeptieren, dass es Probleme gibt, die wir nicht lösen können und dass Dinge passieren, die nicht in unserer Kontrolle liegen. Die Frage, die wir uns dann stellen sollten, ist: Wie können wir uns um uns selber kümmern? Wie können wir lernen, uns um uns selbst zu sorgen, uns selbst die Mutter oder der Vater zu sein, die wir vielleicht nie hatten und uns immer gewünscht haben? Denn wir sind einerseits zwar Menschen mit Problemen, andererseits schlummert in uns aber auch jemand, der sich um diese Menschen kümmern kann. Vielleicht sind wir nicht gut darin. Vielleicht wissen wir nicht einmal, wie das geht, denn wenn wir es wüssten, würden wir es schon längst tun. Wir müssen also lernen etwas zu tun, das wir noch nie gemacht haben. Das ist ganz schön schwierig. Aber diesen Teil, der sich von all den Problemen nicht beeindrucken lässt, gibt es in jedem von uns.

Wie kann man mit der Selbstfürsorge anfangen?

Ganz einfach, indem man sich um sein Wohlbefinden kümmert. Am besten beginnt man mit den Basics: ausreichend Schlaf und Ruhezeiten, gutes Essen, Bewegung. Wenn wir uns depressiv fühlen, hilflos und entmutigt, ist die Frage: Wie kann ich von meinem Kopf wieder in meinen Körper finden? Oder wie es der Dichter Kabir ausdrückt: „Betrete deinen Körper. Dort wirst du einen stabilen Ort finden, wo du deine Füße abstellen kannst.“ Wir haben hier während des Lockdowns auch Schreibübungen gemacht. Wir haben uns für 20 Minuten hingesetzt und einfach darauf losgeschrieben – darüber, was uns beschäftigt, stört, stresst. Ohne den Anspruch, gut zu schreiben. Das ist auch eine gute Art, sich in sich selbst zuhause zu fühlen.

Bob Dylan sagte einmal: Menschen tun sich schwer damit, Dinge zu akzeptieren die sie überwältigen. Wie kann Meditation helfen, mit schwierigen Situationen umzugehen?

In der Meditation versucht man nicht, irgendetwas zu erledigen, loszuwerden oder zu ändern. Man sitzt einfach da und heißt alle Gefühle und Gedanken, die da sind, willkommen. In seinem Gedicht „Das Gasthaus“ bezeichnet der Sufi-Dichter Rumi diese Gefühle und Gedanken als Gäste, die wir gut behandeln und bewirten sollen: Sie seien Besucher aus einer anderen Welt und hätten uns etwas zu sagen. Natürlich wollen wir uns in unserem Haus sicher fühlen, aber dazu gehört auch, diese Gäste zu beherbergen. Das ist sicherer als vor ihnen davonzulaufen. Die Welt ist unvorhersehbar, das Leben ist unvorhersehbar. Aber wir können lernen, zu vertrauen.

Wie lernt man, zu vertrauen?

Indem wir uns darüber bewusstwerden, dass wir in einem Universum leben, das uns wohlgesonnen ist. Wenn das Universum feindlich wäre, dann könnten wir nicht atmen, dann würde unser Herz nicht schlagen und unser Kreislauf nicht funktionieren. Unsere Körper sind in Einklang mit der Sonne und der Erde – darauf können wir vertrauen. Genauso können wir darauf vertrauen, dass wir vom Leben gehalten und aufgefangen werden.

Wir können darauf vertrauen, dass wir vom Leben gehalten und aufgefangen werde.

Für viele ist Meditation ein abstraktes Konzept und etwas, das schwierig zu bewerkstelligen ist. Wie kann man Menschen hier den Druck nehmen?

Viele entwickeln einen übertriebenen Ehrgeiz, wenn es um Meditation geht und sind dann schnell entmutigt. Meditation bedeutet eigentlich, sich in sich selbst zuhause zu fühlen. Wenn ich mit anderen meditiere, sage ich nicht: Lasst uns meditieren. Ich sage: Setzen wir uns hin und seien wir zuhause in uns selbst. Auch die Sitzposition muss nicht genau so oder so sein. Am wichtigsten ist es, stabil zu sitzen und sich in der Position wohlzufühlen.

In deinem Buch „The Most Important Point“ schlägst du vor, sich selbst zu heiraten.

Das ist auch eine Möglichkeit, sich in selber zuhause zu fühlen. Du kannst dich fragen: Willst du diesen Körper? Willst du diesen Geist? Willst du dieses Leben, hier und jetzt? Je mehr du Ja sagen kannst zu deinem Körper, deinem Geist und deinem Leben, umso größer werden deine Ressourcen. Wenn du hingegen deinen Körper und Geist nicht akzeptierst und vor deinen Gefühlen und Problemen davonläufst, dann kannst du gar nicht in dir selber zuhause sein.

Es gibt also nichts zu ändern?

Genau. Jeder von uns ist liebenswert und kostbar. Es geht nicht darum, erst liebenswert und kostbar zu werden – wir alle sind es schon. Es gibt nichts zu beweisen, nichts zu reparieren. Was viele nicht verstehen, ist, dass wir Probleme haben dürfen und dass die Tatsache, dass wir Probleme haben, uns kein bisschen weniger liebenswert und kostbar macht. In der Meditation lernen wir, alle möglichen Dinge in unsere Herzen aufzunehmen. Denn das Herz hat Platz für alles, was kommt.

Das Interview ist im Rahmen unserer Kooperation mit dem Magazin „B’sundrig” von Sutterlüty entstanden. Der Artikel erschien erstmalig in der „B’sundrig”-Ausgabe Juli/August 2020.

Text: Martha Miklin // Friendship.is
Fotos: Jana Sabo // Friendship.is

Akteur:innen: